Wertewandel in Behörden und bei der Polizei
Stephen Köppe forscht über den Generations- und Wertewandel in Behörden und bei der Polizei. Welche Änderungsprozesse machen eine werteorientierte Organisationsentwicklung möglich? Ein Interview.

Mit dem Eintritt junger Menschen in den öffentlichen Dienst geht ein grundlegender Wandel der Arbeitskultur und -strukturen einher. Um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, bedarf es einer kontinuierlichen und werteorientierten Entwicklung hin zu einer lernenden Organisation.
Herr Köppe, was unterscheidet in diesem Zusammenhang die Polizei oder Behörden von anderen Organisationen oder Einrichtungen? Gibt es hier eine spezifische Herausforderung?
Ja, in der Tat. Im Gegensatz zu gewinnorientierten Unternehmen in der Wirtschaft (Profit-Organisationen) sind behördliche Organisationen und damit auch die Polizei nicht gewinnorientiert (Non-Profit-Organisationen). Zudem ist es gerade für behördliche Organisationen wichtig, eine gewisse nachhaltige, strukturelle Verlässlichkeit und Transparenz in der Arbeit nach innen und außen zu haben. Das Organisationsmodell in Polizei und Behörden ist bis heute wie in allen öffentlichen Verwaltungen durch das Bürokratiemodell von Max Weber geprägt.Ihm ging es um die Gewährleistung von berechenbaren, beherrschbaren und effizienten Arbeitsabläufen. Deshalb spielen eine geregelte Arbeitsteilung und klar festgelegte Aufgaben in einer von Amtshierarchie (Über-und Unterordnung) geprägten Behörde im öffentlichen Dienst eine bedeutende Rolle.
Hierarchie und Transparenz
Auch eine verlässliche Dokumentation der Vorgänge (überprüfbare Aktenmäßigkeit) bildet die Grundlage einer integren behördlichen Organisation. Polizei und Behörden funktionieren eben nicht wie Startups, sondern in nachhaltigen und verlässlichen Strukturen. Das gibt den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite eine Form der Verlässlichkeit, auf der anderen Seite dauern behördliche Veränderungsprozesse einfach länger. Das zeigt sich in Zeiten der Transformation deutlich, auch wenn z.B. die Corona-Pandemie positiv gesehen als „digitaler Beschleuniger“ wirkte. Der demografische Wandel ist neben den Herausforderungen der Digitalisierung in Polizei und Behörden das Kernthema im Kontext der Transformation. Er ist längst angekommen und muss gewinnbringend für die Organisationen gemanaged werden.
Worin besteht der Werte- und Generationswandel in Polizei und Behörden, können Sie Beispiele nennen?
Wir befinden uns momentan in der Polizei und generell im öffentlichen Dienst in einem Generationswandel. Die „Babyboomer“ gehen als große Generationenkohorte in Rente oder Pension, die jungen Arbeitnehmenden der Generationen „Z“ und „Y“ strömen in die Behörden oder sind schon da. Sie bringen teils unterschiedlich ausgeprägte Wertehaltungen als ältere Generationen mit sich. Dies zeigt sich u.a. in gesteigerten Ansprüchen an den Arbeitgeber, also die Organisation. Es geht um eine höhere Sensibilität zu Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eines guten Arbeitsumfeldes (speziell die Arbeit im „Team“), aber vor allem um Führungskräfte, die auf Augenhöhe kommunizieren. Dies sind neben dem Anspruch an eine sinnstiftende Arbeit die Kernaspekte neu formulierter Ansprüche, die die aktuellen Herausforderungen im Recruiting und Retention-Management darstellen.
Augenhöhe statt Hierarchie
Diese Ansprüche stehen auf den ersten Blick im Gegensatz zu einem stark ausgeprägten hierarchischen Modell in der Polizei. Auch teils notwendige Aspekte wie Schichtdienst und Überstunden, die in älteren Generationen oftmals auf Kosten der Gesundheit hingenommen wurden, werden durch die jüngeren Generationen hinterfragt. Hier sind die Führungskräfte gefragt, intergenerationale Aushandlungsprozesse zu initiieren und gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden handlungsleitende Werte zu formulieren, die die Leitplanken des täglichen Miteinanders bilden. Die Führungskraft wird zum Coach. Die Zeiten wo Führung in Amtshierarchien lediglich „dirigierte“ sind lange vorbei. Man kann sagen, dass in der Polizei mittlerweile ein anderer „Ton“ herrscht. Für diese Veränderungsprozesse zeichnen sich insbesondere die jüngeren Generationen verantwortlich, denn Menschen machen Organisationen. Dennoch kommt es in der polizeilichen und behördlichen Praxis immer noch zu intergenerationalen Konflikten. Immer dort, wo Tradition und Gewohnheit („Das haben wir schon immer so gemacht!“) auf „Veränderung“ trifft (“Warum? Könnten wir das eigentlich nicht ´mal anders machen?“) werden diese Konfliktlinien sichtbar. Flache Hierarchien, die dazu dienen, individuelle Kompetenzen zu nutzen, werden vorwiegend von älteren Generationen immer noch fehlinterpretiert und mit einer Art „Hierarchiefreiheit“ innerhalb der behördlichen Amtshierarchie verwechselt. Denn in der Vergangenheit wurden Kompetenzen ausschließlich am „Dienstgrad“ festgemacht.
Sie haben eine Studie in einer Berliner Polizeidirektion durchgeführt, gibt es Erkenntnisse die sie überrascht haben oder die sie nicht unbedingt erwartet hätten?
In dieser Studie habe ich mir im Kontext des Generationen-und Wertewandels im Kern die Frage gestellt, wie sich eine Organisation wie die Polizei in einer sich veränderten Umwelt zu einer lernenden Organisation entwickeln kann, aber vor allem welche Haltungen Mitarbeitende und Führungskräfte im Hinblick auf Veränderungsprozesse haben. Die Haltungen der Organisationsmitglieder sind ein essentieller Punkt, wenn es um die Akzeptanz für Veränderungsprozesse geht. Überrascht hat mich hier die durchweg positive Einstellung aller Mitarbeitenden und Führungskräfte. Eine große Mehrheit ist bereit Veränderungsprozesse gemeinsam mit ihren Führungskräften zu gehen. Der oftmals kritische Blick auf das Beamtentum und die damit verbundene „Unbeweglichkeit“ war in der Polizei Berlin zu mindestens in dieser Form nicht messbar.
Bereitschaft zum Dialog
Die unterschiedlichen Wertevorstellungen der Generationen werden in den Dienststellen von allen wahrgenommen, die hohe Bereitschaft der jüngeren Mitarbeitenden einen Diskurs um handlungsleitende Werte innerhalb der Polizei zu führen und bereit zu sein, das gemeinsame Handeln in Dialogformaten zu reflektieren, hat mich nicht überrascht. Hier strömen mit der Gen Z und Y sehr dialogbereite und reflektierte Generationenkohorten in die Polizei und Behörden. Überrascht hat mich allerdings, dass auch die älteren Generationen dazu bereit sind, eine wichtige Erkenntnis im Hinblick auf einen intergenerationalen Dialog!
Zwei weitere wichtige Erkenntnisse aus dieser Studie haben mich tatsächlich auch überrascht. Zum einen die Tatsache, dass individuelle Kompetenzen von Mitarbeitenden in der Fläche noch nicht ausreichend abgerufen werden, zum anderen, dass ein vertrauensvoller, offener und ehrlicher Umgang der Führungskräfte untereinander nicht in der gewünschten Form stattfindet. Dies kann unter Umständen eine unüberwindbare Barriere in der Organisationsentwicklung innerhalb der Polizei darstellen und muss sich dringend ändern. Hier geht es darum, eine gemeinsame und vertrauensvolle Führungskultur zu entwickeln, die Fehler als Chance sieht besser zu werden und gemeinsam daraus zu lernen.
Was ist nötig, damit sich Polizei und Behörden zu „lernenden“ Organisationen entwickeln können?
Es braucht eine zeitgemäße und wertebasierte Führung und Organisationsentwicklung innerhalb der Polizei und den Behörden. Neue und zeitgemäße Grundsätze in Führungskonzepten reichen nicht aus, wenn sie nur niedergeschrieben auf dem Papier existieren und in „Leidsätzen“ als Plakate an Dienststellen kleben, sie müssen täglich gelebt und praktiziert werden. Hierzu ist es wichtig, in Dialogformate zu gehen, sich auszutauschen und von den Erfahrungen der Anderen zu lernen (sog. Erfahrungslernen). Im Kontext des Generationen- und Wertewandels wären intergenerationale Kompetenzcluster für die gemeinsame Arbeit denkbar. Handlungsleitende Werte und Visionen stärken den generationenübergreifenden Zusammenhalt und geben Orientierung.
Orientierung und Vertrauen
Bezogen auf die Polizei spreche ich hier vom sog. PWD (Polizeilicher Wertediskurs), der essentiell ist, um Orientierung in der gemeinsamen Arbeit, vor allem aber Vertrauen und Verständnis für das vorhandene und auszubalancierende Spannungsverhältnis zwischen vielfältiger Werte und organisationaler Erfordernisse zu schaffen. So entsteht das Fundament einer wertebasierten Führung und Organisationsentwicklung, die Hintergrundfolie für eine lernende Organisation. Hierzu referiere ich momentan in vielen Polizeien der Bundesländer (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Bremen) und führe Führungskräfteworkshops durch. Denn die Führungskräfte haben die Schlüsselfunktion und sind die Ice-Breaker in diesem Prozess.
Komplexes Forschungsfeld
Das vorliegende Forschungsfeld ist nicht unkompliziert zu erschließen. Vorbehalte gegenüber der Wissenschaft müssen durch vertrauensbildende Maßnahmen abgebaut werden, um den beidseitigen Gewinn eines Transfers zwischen Theorie und Praxis deutlich zu machen. In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass sich die Polizei Berlin bereit erklärte, diese Studie zu genehmigen. Hier präsentiert sich die Hauptstadtpolizei als moderne und zukunftsorientierte Behörde, offen für praxiswissenschaftliche Ansätze, die für ihre Organisationsentwicklung auf dem Weg zu einer lernenden Organisation wichtig sind.
Aktuell begleite ich die Polizei Berlin zusammen mit meiner Kollegin Prof. Dr. Birgit Wiese von der FH Potsdam (Sozialwissenschaftlerin) interdisziplinär im sog. „Werteprozess der Polizei Berlin“. In einer behördenweiten Online-Umfrage beteiligten sich 4600 Mitarbeitende, 51 Workshops zu berufsethischen Fragen wurden durchgeführt. Hier geht es im Kern darum, welche Werte intergenerational und unabhängig vom gesetzlichen Auftrag in der Polizei Berlin handlungsleitend sind. Hierzu wird es im Jahr 2025 noch eine Veröffentlichung geben. Ich kann sagen, der Generationen-und Wertewandel hat eine besondere Bedeutung gespielt, die wissenschaftlichen Ergebnisse hierzu sind wirklich spannend und bieten der Polizei Berlin sehr gute Ansätze auf dem Weg hin zu einer lernenden Organisation.
Stephen Köppe ist Lehrkraft für besondere Aufgaben für Führungswissenschaft und Einsatzmanagement am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement.
Publikationen: Köppe, Stephen (2024): Werteorientierte Organisationsentwicklung in Polizei und Behörden
Hier können Sie die News herunterladen.