Rechtliche Zuordnung eines Kindes zu Mutter und Vater
Der diesjährige Politeia-Preis zur Frauen- und Geschlechterforschung der HWR Berlin prämiert eine wissenschaftliche Arbeit, die die Notwendigkeit neuer gesetzlicher Regelungen zur Elternschaft belegt.
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin vergibt seit 2001 für die besten Studierendenarbeiten zur Frauen- und Geschlechterforschung den mit 1 000 Euro dotierten Politeia-Preis und lobt zusätzlich Politeia-Medaillen aus.
In diesem Jahr geht die Auszeichnung an Konsulatssekretär Pawel Rydygier, Absolvent des Fachbereichs Rechtspflege. Als Vorbereitung für den gehobenen auswärtigen Dienst hat er an der Hochschule des Bundes im Fachbereich Auswärtige Angelegenheiten studiert. Ein Teil des Studiums wird an der HWR Berlin absolviert.
Seine Abschlussarbeit stellte Pawel Rydygier unter die Fragestellung »Ist die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu Mutter und Vater gem. §§ 1591, 1592 BGB noch zeitgemäß?« Er fordert: »Wer die tatsächliche Elternrolle übernimmt, sollte auch die rechtliche Elternschaft erhalten.« Der Preisträger im Interview:
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Eigentlich wollte ich thematisieren, dass die frisch eingeführte „Ehe für alle“ zahlreiche Probleme ungelöst gelassen hat und eine abstammungsrechtliche Mogelpackung für die Betroffenen ist. Meine wissenschaftliche Betreuerin, Prof. Susanne Sonnenfeld, riet mir, die Thematik aus der Perspektive des Kindes zu beleuchten und nicht – wie so oft – aus der Perspektive betroffener Erwachsener.
Weshalb ist dieses Thema relevant?
Das Thema betrifft all die Menschen mit Kinderwunsch, die nicht dem klassischen Familienmodell entsprechen, zum Beispiel durch Samenspende, Eizell- und Embryospende oder Leihmutterschaft Eltern werden oder sind. Die daraus folgenden abstammungsrechtlichen Probleme sind vielen nicht bewusst. Die jüngste Diskussion um die Novellierung des Transsexuellengesetzes zeigt, dass das Thema Abstammung polarisiert und für viele Menschen eine stark emotionale Komponente hat. Leider hat sich in Bezug auf das Abstammungsrecht getan in Deutschland noch nicht genug getan.
Leihmutterschaft ist nach deutschem Recht doch verboten…
…aber in zahlreichen Ländern – auch in Europa – erlaubt und dort tausendfach praktiziert. Der starke Wunsch nach einem Kind und die heutigen Informationsmöglichkeiten stellen kein allzu großes Hindernis dar, sich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen. Manche der einschlägigen Kliniken garantieren sogar Erfolgsquoten.
Wie ist die Vaterschaft bisher für Samenspender geregelt?
Wenn die Samenspende ärztlich begleitet wird und hieraus ein Kind entsteht, ist der Samenspender mittlerweile umfassend davor geschützt, rechtlich als Vater des Kindes festgestellt zu werden. Durch eine neu geschaffene Spenderkartei können Kinder zudem, wenn sie das wünschen, die Identität des Spenders erfahren – ein fairer Interessenausgleich. Private Samenspender hingegen genießen diesen Schutz keinesfalls – sie müssen auch Jahre nach einer Samenspende damit rechnen, als rechtlicher Vater festgestellt zu werden.
Inwiefern stellt die aktuelle Rechtslage ein Problem dar?
Stellen Sie sich vor, eine Frau könnte aus medizinischen Gründen kein Kind austragen, aber ihre intakte Eizelle einer Leihmutter übertragen, welche das Kind für sie austrägt. Damit ist sie genetische und zugleich soziale Mutter des so geborenen Kindes. Rechtlich jedoch wird die Leihmutter zur Mutter – der Gesetzgeber lässt also außen vor, wer die soziale Mutterrolle für das Kind übernimmt oder was für das Kindeswohl das Beste ist. Die Frau wird trotz genetischer Mutterschaft nur im Wege der Stiefkindadoption zur rechtlichen Mutter, was sogar eine Kindeswohlprüfung beinhaltet. Eine andere Frau hingegen, die zwar biologisch ein Kind austragen, aber selbst keine Eizellen produzieren kann und im Wege der Eizellspende ein Kind bekommt, wird kraft Gesetzes rechtliche Mutter. Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einer schlüssigen Begründung.
Sie zeigen in Ihrer Arbeit Möglichkeiten auf, wie bestehende Ungleichbehandlungen vermieden werden können.
Der Gesetzgeber sollte meines Erachtens sowohl die soziale Elternschaft als auch das Kindeswohl bei der Zuordnung stärker in den Fokus rücken. Letztlich spielt es keine Rolle, für welche Art der künstlichen Fortpflanzung ein Paar sich entschieden hat – wer die tatsächliche Elternrolle übernimmt, sollte auch die rechtliche Elternschaft erhalten.
Sie kritisieren, dass beim Inkrafttreten der „Ehe für alle“ familienrechtliche Probleme gleichgeschlechtlicher Paare weitestgehend nicht gelöst wurden.
Die Bundeskanzlerin hat durch die Auflockerung der Fraktionsdisziplin in der Frage der „Ehe für alle“ letztlich das Inkrafttreten des Gesetzes im Eilverfahren ermöglicht. Darin werden zwar gleichgeschlechtliche Ehen weitestgehend gleichgestellt, nicht aber in abstammungsrechtlicher Hinsicht. Ein schwuler Ehemann wird damit nicht zum Co-Vater, eine lesbische Ehefrau nicht automatisch zur Mitmutter eines Kindes.
Was ist eine Mitmutterschaft bzw. Co-Vaterschaft? Weshalb wäre das aus Ihrer Sicht die Lösung?
Momentan können gleichgeschlechtliche Ehepartner nur dann auch rechtlich Elternteil des Kindes werden, wenn sie sich einer Stiefkindadoption unterziehen. Bei einer Mitmutterschaft bzw. Co-Vaterschaft würden diese aufgrund der bestehenden Ehe kraft Gesetzes zu Mitmutter bzw. Co-Vater, analog der derzeitigen Regelung für Väter. Derzeit scheitert dies jedoch am Wortlaut des Gesetzes, welches eben nur eine „Mutter“ und einen „Vater“ vorsieht, also an das jeweilige Geschlecht geknüpft ist.
Inwiefern ist dieser Ansatz vorrangig im Interesse des Kindes und nicht in erster Linie der beteiligten Erwachsenen?
Die Mitmutter bzw. der Co-Vater sind die sozialen Eltern von Kindern gleichgeschlechtlicher Ehepartner. Sie haben das Kind mithilfe künstlicher Befruchtung gezeugt und es auf die Welt gebracht, sie wollen sich um das Kind kümmern und es aufziehen. Sie sollten daher auch alle damit verbundenen Rechte und Pflichten haben – und zwar ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes, nicht erst nach einem langwierigen Adoptionsverfahren. Weder der Samenspender noch die Leihmutter wollen oder können diese Rolle übernehmen.
Wie verhält sich die Zuordnung von Kindern zu Trans- und Intersexuellen?
Höchst problematisch. Bei transsexuellen Elternteilen wird sowohl das Geburtsgeschlecht in das Geburtsregister eingetragen als auch der vor der Umwandlung geführte Vorname. Dass dies insbesondere für das Kind im Alltagsleben zu zahlreichen Problemen führen kann, liegt wohl auf der Hand. Bei Intersexuellen gibt es überhaupt keine Regelung, es ist daher fraglich, wie das Kind zuzuordnen ist.
Was versteht man unter „pluraler Elternschaft“?
Hierbei handelt es sich um ein Art Vereinbarung zwischen mehreren Personen, welche gemeinsam die Elternrolle für ein Kind übernehmen wollen, zum Beispiel ein lesbisches Ehepaar und der Samenspender, der Verantwortung im Leben des Kindes übernehmen soll.
Welche nächsten Schritte braucht es, um Änderungen im Sinne der Betroffenen herbeizuführen?
Das Abstammungsrecht ist dringend reformbedürftig und kann schon seit geraumer Zeit nicht mit den aktuellen medizinischen, ethischen, sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen Schritt halten. Es muss nicht alle erdenklichen Familienkonstellation abbilden, sollte aber einen verlässlichen Rahmen bieten.
Welche Erkenntnisse haben Sie überrascht bei Ihren Recherchen bzw. deren Auswertung?
Die bloße Anzahl verschiedener familienrechtlicher Konstellationen und die teils widersprüchliche Zuordnung von Kindern haben mich verwundert. Es wurde deutlich, dass der Gesetzgeber die heutige Vielfältigkeit nicht im Blick hatte (oder nicht haben wollte).
Was bedeutet der Politeia-Preis für Sie?
Ich freue mich riesig über den Preis, denn er drückt aus, dass ich aktiv etwas zur Frauen- und Geschlechterforschung beigetragen habe. Das ist schon ein tolles Gefühl und mehr als bloße Anerkennung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Die HWR Berlin leistet mit dem Politeia-Preis einen wichtigen Beitrag zu Toleranz, Offenheit und Gleichstellung.
Wie geht es beruflich für Sie nach dem Studienabschluss weiter?
Als Angehöriger des Auswärtigen Dienstes steht die nächste Auslandsverwendung vor der Tür. Im Sommer geht es für die nächsten Jahre an die Deutsche Botschaft Washington, wo ich mich vorwiegend mit Erbrecht beschäftigen werde.