11.11.2024 — Pressemitteilung 40/2024Pressemitteilung 40/2024 | 11.11.2024

Reallabor

Notfall Klimawende: Wärme und Kälte im Klinikbetrieb

Charité CFM Facility Management GmbHC und Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin wollen gemeinsam kaltes Nahwärmenetz für größtes Universitätsklinikum Europas entwickeln.

Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (vorn links), und CFM-Geschäftsführer Simon Batt-Nauerz von der Charité (vorn rechts) unterzeichnen Absichtserklärung über gemeinsame Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes für das größte Universitätsklinikum Europas.
Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (vorn links), und Simon Batt-Nauerz, CFM-Geschäftsführer und Leitung Geschäftsbereich Infrastruktur und Nachhaltigkeitsmanagement Charité (vorn rechts), unterzeichnen Absichtserklärung über gemeinsame Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes für das größte Universitätsklinikum Europas. Das Reallabor könnte zum Leuchtturm in Berlin werden. Foto: Sylke Schumann

Berlin, 8. November 2024 – Der Einsatz medizinischer Geräte wie MRT- und CT-Scanner, Computer-Server zur Verarbeitung und Speicherung enormer Datenmengen und auch die Kühltechnik in einer Klinik verbrauchen viel Strom und erzeugen erhebliche Mengen an Abwärme. Um ihre Energieeffizienz zu verbessern, setzt die Charité bereits heute auf erneuerbare Energien und hat ihre CO2-Emissionen signifikant gesenkt. Dennoch bleibt Potenzial zur weiteren Reduzierung des Verbrauchs und zur Nutzung von Wärmequellen, insbesondere durch innovative Technologien und nachhaltige Baupraktiken.

Kaltes Nahwärmenetz für die Charité

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) und die Charité CFM Facility Management GmbH (CFM) wollen gemeinsam ein kaltes Nahwärmenetz für Europas größtes Universitätsklinikum entwickeln und unterzeichneten am 31. Oktober 2024 eine entsprechende Absichtserklärung. Im Zuge des vom Land Berlin ausgeschriebenen Förderprogramms „Wertschöpfung durch Innovation im Quartier“ soll ein wirtschaftsorientiertes Reallabor entstehen, das in der Praxis erprobt, wie Energie- und Wärmeversorgung mittels kalter Nahwärme klimaverträglich gestaltet werden kann.

Schlüsseltechnologie für die Wärmewende

Der vermeintliche Widerspruch in der Begrifflichkeit dieser Schlüsseltechnologie für die Wärmewende beruht auf einem einfachen Prinzip: kalte Nahwärme nutzt die natürliche Wärme der Erde. In der Erde verlegte Rohre leiten Wärme an eine temperaturleitende Flüssigkeit weiter, die durch eine Pumpe in die Gebäude gelangt und dort für Heizung und Warmwasser sorgt. Die Temperatur ist geringer als bei klassischen Heizsystemen – daher der Name „kalt“ – und kann im Sommer auch zur Kühlung eingesetzt werden. Mit Solarstrom betrieben, wird hier ohne fossile Brennstoffe klimaneutral geheizt und gekühlt.

Modell Forschungsprojekt des „Kalte Nahwärmenetzte für Autarkie im Quartier“ (KWArtier)

Forschungsprojekt „Kalte Nahwärmenetzte für Autarkie im Quartier“ (KWArtier) kann als Blaupause dienen für klimaverträgliche Kühlung und Heizung in vergleichbaren Quartieren. Im Reallabor auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum soll getestet werden, wie die Schlüsseltechnologie schnell, standardisiert und möglichst minimalinvasiv implementiert werden kann – im laufenden Betrieb. Das Vorhaben stieß im September 2024 auf der Transferale Berlin, dem Wissenschafts- und Transferfestival für Klima und Gesundheit, auf großes Interesse. Foto: Sylke Schumann

Energieeffizienz für historische Klinikgebäude

Die Umstellung auf kalte Nahwärme ist komplex – technische, organisatorische und regulatorische wie auch finanzielle Hürden müssen überwunden, Akzeptanz für die innovative Technologie geschaffen werden. Hinzu kommt, dass viele der über das Stadtgebiet verteilten Charité-Gebäude mit ihren insgesamt
45 000 Räumen und einer Fläche von einer Million Quadratmetern unter Denkmalschutz stehen. Beide Projektpartner sind überzeugt, dass sich Aufwand und Investition in das Vorhaben mit dem Titel „Kalte Nahwärmenetzte für Autarkie im Quartier“, kurz KWArtier, lohnen.

Energiekreislauf: Coole Lösungen für warme Räume

„Durch die Implementierung solcher Systeme könnte die Charité nicht nur ihre Energiekosten weiter senken, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie ihre CO2-Emissionen weiter reduziert“, sagt Simon Batt-Nauerz, Geschäftsführer der CFM. Die Charité würde in dem kalten Nahwärmenetz die im Sommer durch Kühlung anfallende Abwärme im Erdboden speichern, statt sie an die Umgebungsluft abzugeben. Das reduziert den sogenannten Hitzeinseleffekt in städtischen Quartieren, der dadurch entsteht, dass die vielen versiegelten Flächen Sonnenstrahlung absorbieren und die Umgebung aufheizen. Die gespeicherte Wärme wird im Winter für die Heizung der angeschlossenen Räume genutzt.

Das für die Abwärmespeicherung geplante Erdsondenfeld – ein Feld mit geothermischen Bohrungen bis 100 Meter Tiefe – ermöglicht außer der Kühlung von Computerserverzentren zum Beispiel auch die passende Temperierung von Patientenzimmern in heißen Sommern. Denn die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Berlin schon heute zu spüren und belasten Patientinnen und Patienten wie auch das Personal in den Kliniken. Die Hitzebekämpfung sieht Simon Batt-Nauerz als eine der größten Herausforderungen in der Infrastrukturentwicklung an und hält das angewandte Forschungsprojekt für einen vielversprechenden Lösungsansatz.

Enorme Reduzierung der CO2-Emmissionen

Eine Machbarkeitsprüfung der Deckenheizung und -kühlung für Patientenzimmer, die im Zuge des Projektantrags am Charité Campus Virchow-Klinikum durchgeführt wurde, ergab, dass der Deckungsanteil der Heizung bei 96 Prozent und der Kühlung bei 90 Prozent liegen würden. Mit einer Ausweitung des Projektes auf den gesamten Campus könnte die aktuell erreichbare Reduktion von jährlich 110 Tonnen CO2-Emmissionen auf 806 Tonnen pro Jahr gesteigert werden. Die Stadt würde durch notwendige Kühlung nicht weiter aufgeheizt.

Wegweisendes Reallabor zur Nutzung regenerativer Wärme- und Kältequellen

Sollte die HWR Berlin den Zuschlag für das Vorhaben vom Land Berlin bekommen, würde es im April 2025 mit der detaillierten Planung losgehen. KWArtier wäre ein Leuchtturmprojekt mit Strahlkraft weit über Berlins Grenzen hinaus. Bisher fehlen Umsetzungsbeispiele für kalte Nahwärmenetze in Bestandsquartieren, führen die Forschungsprojektleiterinnen Prof. Dr. Andrea Pelzeter und Prof. Dr. Silke Bustamante an.

Die Wissenschaftlerinnen der HWR Berlin wollen gemeinsam mit ihrem renommierten Praxispartner vorführen, wie regenerative Wärme- und Kältequellen nutzbar gemacht werden können. Dafür soll ein modulares System getestet werden, das je nach Bedarf in anderen Quartieren angewendet und erweitert werden kann. Außerdem sollen neue Geschäftsmodelle rund um kalte Nahwärmenetze erarbeitet werden – damit geht es in diesem Reallabor zum ersten Mal weit über technische Überlegungen hinaus, wirtschaftliche, regulatorische und soziale Komponenten finden ebenfalls Berücksichtigung.

Vertragspartner*innen für die Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum: Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Prof. Dr. Andrea Pelzeter, Prof. Dr. Silke Bustamante (alle HWR Berlin), Simon Batt-Nauerz, Patrick Bunnemann, Marvin Vollbert,  Nico Schenderlein (alle CFM, Charité – Universitätsmedizin Berlin) (v.l.n.r.)

Vertragspartner*innen für die Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum: Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Prof. Dr. Andrea Pelzeter, Prof. Dr. Silke Bustamante (alle HWR Berlin), Simon Batt-Nauerz, Patrick Bunnemann, Marvin Vollbert,  Nico Schenderlein (alle CFM, Charité – Universitätsmedizin Berlin) (v.l.n.r.) Foto: Sylke Schumann

Reallabor als Blaupause: Praktisches Vorbild für nachhaltige Energielösungen

„Unser Plan ist es, in dem Reallabor an der Charité einen Prototyp zu schaffen, der zeigt, wie ein kaltes Nahwärmesystem schnell, standardisiert und möglichst minimalinvasiv implementiert werden kann – im laufenden Betrieb. Und wenn das in einem so komplexen Gefüge wie einer großen Klinik funktioniert, dann lässt sich das auch auf Büro- und Verwaltungsgebäude, Pflegeheime und Schulen übertragen“, sagt Prof. Dr. Andrea Pelzeter.  

Indem Unternehmen, Initiativen oder ganze Stadtteile, die dem Beispiel des Reallabors folgen, die gleichen innovativen Ansätze zur Energieeinsparung und Emissionsminderung aufgreifen, leisten sie einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz in Berlin und seiner Metropolregion. Das könnte sogar bundesweit als Impulsgeber dienen, der den Weg für eine flächendeckende Einführung dieser nachhaltigen Technologie ebnet. „Das Projekt hilft, Vorbehalte gegen die Implementierung kalter Nahwärme zu überwinden und zeigt, wie lokal entwickelte Lösungen und neue Geschäftsmodelle rund um den Klimaschutz das Potenzial haben, weitreichende Wirkung zu entfalten“, sagt Prof. Dr. Andrea Pelzeter.  

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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