Wissenschaftsfestival bringt Berlins Zukunft ins Spiel
Prof. Dr. Avo Schönbohm von der HWR Berlin lässt durch Storytelling, Future Thinking und 3D-Visualisierungen das Berlin von morgen real werden: Stadtplanung ist ein ernsthaftes Spiel. Ein Interview.
Zur Person
Dr. Avo Schönbohm ist seit 2010 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Controlling. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Spannungsfeld von Innovation, Kontrolle und Serious Games – ernsthafte Spiele, die zum Beispiel Lerninhalte und Informationen auf kurzweige Art und Weise vermitteln. Er ist Vorstandsmitglied im globalen Wissenschaftsnetzwerk Serious Games Society und wird als General Chair im November 2024 an der HWR Berlin die internationale Konferenz der Games and Learning Alliance Conference (GALA Conf) mit mehr als 100 Wissenschaftler*innen und Spielentwickler*innen aus der ganzen Welt ausrichten.
Prof. Schönbohm, wie schauen Sie in die Zukunft?
Ich schaue spielerisch auf viele, unterschiedliche Zukünfte, welche als Optionen durchdacht und ermöglicht werden können. Ich sehe in bescheidenem Maße meine Selbstwirksamkeit vor dem Hintergrund von in Teilen negativen Trends und schwierigen Dynamiken, die nicht in meiner Macht liegen. Trotzdem liegen in der Imagination von positiven Zukünften auch Chancen für Transformation und Wandel.
Berlin City Futures – Bau Dir Deine Stadt, wie sie Dir gefällt
Weshalb ist "Berlin City Futures" mehr als eine nette Spielerei?
Berlin City Futures ist genau genommen ein ernstes Spiel („Serious Game“), welches in der nahen Zukunft allokiert ist, um mit Technologien und Imagination Herausforderungen der Berliner Stadtplanung zu lösen. Das Spiel trainiert Zukunftsfähigkeiten wie kreative Vorstellungskraft, Rhetorik („Storytelling“), Empathie, kollektive Sinngestaltung und nicht zuletzt kritisches Denken.
Was genau erwartet die Spieler*innen und wie funktioniert das Spiel?
Die Spielerinnen und Spieler auf der Transferale werden von uns erst mit dem Game „Horizon Makers“ in klassische Sci-Fi-Szenarien, fantastische Zukunftsbilder wie Cyberpunk oder Solarpunk entführt. Dort lernen sie, die Spielmechaniken und trainieren mit Zukunftstechnologien die Probleme imaginärer Welten zu lösen. Wenn die Imaginationsmuskeln warmgelaufen sind, machen wir ein sogenanntes Backcasting zurück in die nahe Zukunft und konzentrieren uns auf die Probleme der Berliner Stadtplanung. Wir laden die Teilnehmer*innen ein, in unterschiedliche Rollen und Personas zu schlüpfen, kreative Lösungsansätze zu entwickeln und diese gemeinsam zu diskutieren.
Könnten Sie ein Beispiel für eine spannende oder überraschende Entwicklung geben, die Spieler*innen im Spiel erleben könnten?
Wollten Sie nicht auch schon mal in ungeahnte Zukünfte reisen und diese als fiktive Charaktere erleben? Bei uns geht es um allerhand Fantastisches: Fusionsreaktoren, Holodecks (fiktive Geräte aus dem Star-Trek-Universum) oder Antigravitationsgeräte. Diese sollen genutzt werden, um Probleme zu lösen, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen.
Durch das Spiel mit dem Fiktiven machen wir uns frei von Alltagszwängen und üben uns im radikalen, kreativen Denken.
Wie kam Ihnen die Idee zum "Berlin City Futures" – welcher Gedanke steckt hinter diesem Spiel?
Was wäre, wenn Sie selbst die Zukunft Berlins mitgestalten könnten? Berlin „Berlin City Futures“ bietet Ihnen die Gelegenheit dazu! Wir haben mit „Horizon Makers“ gesehen, dass wir erfolgreich Spielende zu Problemlöser*innen machen können. Als wir den Call für die Transferale gesehen haben, war Jonny-Bix Bongers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HWR Berlin, der beruflich als Regisseur, Dramaturg und Narrative Designer unterwegs ist, und mir klar, dass wir hier einen ungewöhnlichen Beitrag liefern können.
Wie unterscheidet sich "Berlin City Futures" von anderen Stadtplanungs- oder Zukunftsspielen?
Im Zentrum des Spiels steht ein narrativer Wettstreit um die besten Lösungen von Herausforderungen basierend auf fiktiven Technologien und komplizierten sozialen Prozessen. Es geht darum, einen Perspektivwechsel zu schaffen. Mit Hilfe des 3D-Künstlers Max Seeger haben wir für das Spiel Visualisierungen entwickelt, um die Immersion in Zukunftsszenarien zu verstärken. Ausgangspunkt unserer Arbeit ist vor allem die Befähigung unsere Spielerinnen und Spieler, Zukunftsfähigkeiten zu trainieren. „Futures Literacy“, wie es von der UNESCO beschrieben wird, bedeutet die Fähigkeit, die Zukunft vorwegzunehmen, mögliche Entwicklungen besser zu verstehen und so mitzugestalten.
Weshalb setzen Sie bei Problemlösungen auf Gamification?
Gamification wird als die Anwendung von Spielmechaniken auf Bereiche definiert, welche klassischerweise nicht als Spiele wahrgenommen werden – wie Unternehmen, Therapien oder das Lernen. Ich wende es insbesondere auf Strategieentwicklung (Zukunftscontrolling), Performance Management (Scrum und OKR – Objectives and Key Results, moderne Managementmethoden zur Zielsetzung und Strategieumsetzung in Organisationen) oder spielerische Führungskräfteentwicklung in Unternehmen an. Aber natürlich kann jede soziale Interaktion als Spiel im anthropologischen Sinne interpretiert werden. Die meisten sozialen Spiele verhärten in den Köpfen der Menschen zu sehr ernsten Realitäten und Rationalitäten. Das liegt in unserer Natur. So erschaffen wir uns Sinnzusammenhänge. Der bewusste Einsatz von Spielmechaniken und -dynamiken in Form von Serious Games bricht unsere ehernen Gehäuse von Realität und Rationalitäten auf und macht uns wieder frei und kreativ. Wir können so kognitive Begrenzungen überwinden und Verhalten beeinflussen.
Wie wichtig ist Teamwork bei Spielen wie "Berlin City Futures" und wie fördern sie diese Aspekte?
Empathie und eine kollektive Sinngestaltung sind zentrale Ziele von „Berlin City Futures“. Wir sind als politische Gruppe kreativ und kritisch. Politische Prozesse in Demokratien leben von Interaktion und breiter Partizipation. Wir sind als Stadtplaner*innen nicht nur Expert*innen, sondern auch Steuerzahler*innen und Bürger*innen, verfügen über individuelle Wertesysteme. Dass die eine beste Lösung einfach umgesetzt wird und dann schnell Früchte trägt, dürfte in lebendigen Demokratien eher die Ausnahme sein.
Stadtplanung ist komplex. Kann ein Spiel tatsächlich Herausforderungen der urbanen Entwicklung abbilden – und gar anwendbare Lösungsansätze liefern?
Es handelt sich in der demokratischen Stadtplanung nicht primär um mathematische Optimierungsprozesse, sondern um soziale Phänomene und politische Abläufe. Wir überlassen dieses Feld ja noch nicht alleine der künstlichen Intelligenz und wollen auch keiner wohlwollenden Stadtplanungsdiktatorin das letzte Wort geben. Wir konkurrieren auch nicht mit Studiengängen für Stadtplanung.
Wir wollen Interesse für Stadtplanung wecken, Selbstwirksamkeit erlebbar machen und gleichzeitig die soziale Komplexität abbilden und so Zukunftsfähigkeiten trainieren. Demokratie braucht Zukunft.
Was würden Sie Kritiker*innen entgegnen, die der Meinung sind, Wissenschaftler*innen sollten ernsthafte Fragen zur Zukunft Berlins nicht in ein Spiel verpacken, sondern stattdessen echte Lösungen entwickeln?
Ich würde sie herzlich einladen, selber mitzuspielen und sich von der Ernsthaftigkeit des Spiels überzeugen zu lassen. Vielleicht wird eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer den Hobrecht-Plan 4.0 entwickeln? [Anmerkung der Redaktion: Der Hobrecht-Plan ist ein bedeutender Bebauungsplan für Berlin, der 1862 unter der Leitung des Stadtbaurats James Hobrecht genehmigt wurde. Er wurde entwickelt, um die rasante Urbanisierung und die damit verbundenen Probleme in der wachsenden Stadt zu adressieren.]
Wo überholt das Spiel eventuell die Realität? Und weshalb?
In dem Spiel wird es revolutionäre Ideen und Ansätze geben, die ernsthaft verfolgenswert wären, für die es aber keine politischen Mehrheiten oder finanzielle Mittel geben wird.
Vielleicht können diese Ideen aber dennoch Tiefenwirkung auf die Teilnehmer*innen ausüben und helfen, Berlin auf indirekte weise besser zu machen.
Gibt es Pläne, "Berlin City Futures" in einem Reallabor mit Berlins Stadtplaner*innen zu erproben?
Wir haben „Horizon Makers“ im Rahmen des Projektes „Re:Play“ am IFAF Berlin – Institut für angewandte Forschung Berlin e.V. – mit meiner Kollegin Prof. Pelin Celik von der HTW Berlin bei der Bayer AG und der Siemens Energy AG in sogenannten Future Labs getestet und verbessert. „Berlin City Futures“ steht diese Laborphase noch bevor, die Transferale wird uns dafür wichtige Rückmeldungen liefern. Reallabore sind zeit- und ressourcenintensiv: Das wäre ein eignes Forschungsprojekt. Wir haben aber noch ein weiteres Spiel mit den gleichen Spielmechaniken in der Pipeline zum Thema Anwendung von Nanotechnologie, welches Jonny-Bix Bongers und ich in Kooperation mit einer promovierten Nanotechnologin konzipiert haben. Hier streben wir in 2025 konkrete Playtests mit Expert*innen und Studierenden an.
Stadtplanung Berlin: Schauen Sie optimistisch in die Zukunft und wenn ja, weshalb?
Solange wir die Zukunft als etwas Spielerisches und Gestaltbares begreifen, bleibt Berlin eine Stadt voller Möglichkeiten – eine Metropole, in der jede Vision Realität werden kann.
Herr Prof. Schönbohm, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).