03.07.2024 — Pressemitteilung 26/2024Pressemitteilung 26/2024 | 03.07.2024

Klimawandel

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Klimawandel und Konflikten

Im Interview spricht Friedens- und Konfliktforscher Prof. Dr. Janpeter Schilling von der HWR Berlin über den Klimawandel als Sicherheitsrisiko und wie damit umgegangen werden kann.

Janpeter Schilling bei der Feldforschung zu Klimawandel und Konflikten im Norden Kenias. Foto: privat

Zur Person

Der studierte Geograph Dr. Janpeter Schilling ist Professor für Risiko-, Krisen- und Konfliktmanagement am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er forscht unter anderem zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Ressourcen und Konflikte.

Prof. Schilling, sind Sie ein Optimist, so generell – und wenn ja, weshalb?

Ja, schon. Für mich bedeutet Optimist zu sein, nicht nur auf Besserung zu hoffen, sondern diese auch selbst herbeizuführen. Letztlich bieten Krisen auch immer Chancen.

Was ist aus Ihrer Sicht eigentlich noch sicher in diesen Zeiten?

Kaum etwas. Nicht mal, dass der FC Bayern München Fußballmeister wird. Aber im Ernst: Gefühlt leben wir in unsicheren und krisenhaften Zeiten. Besonders bewaffnete Konflikte und der Klimawandel stellen uns vor große Herausforderungen. In einigen Ländern, auch in Deutschland, setzt zudem der Rechtspopulismus Demokratien unter Druck. Wie diese mit den Polykrisen – sprich gleichzeitig auftretenden, sich gegenseitig verstärkenden Krisen – umgehen, ist entscheidend für den sozialen Zusammenhalt. Sicher ist daher nur, dass wir keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen geben dürfen und gerade in herausfordernden Zeiten auf Zusammenarbeit und Zusammenhalt setzen müssen.  

Viele denken bei Klimawandel und Sicherheit zuerst und gerade in diesen Tagen an Überflutungen und Stürme. Welche weniger offensichtlichen Gefahren sehen Sie noch?

So genannte Großschadensereignisse, wie wir sie kürzlich bei den Überflutungen in Süddeutschland gesehen haben, erhalten immer große mediale Aufmerksamkeit und sind daher in der öffentlichen Wahrnehmung präsenter. Weniger wahrgenommen werden dagegen sich verändernde Niederschlagsmuster. Der Klimawandel führt dazu, dass sich beispielweise in Afrika Regenzeiten verschieben oder ganz ausbleiben. Für Bauern und Bäuerinnen, Viehhalter*innen und andere Gruppen, die stark von verlässlichen Regenfällen abhängen, kann das existenzbedrohend sein. Diese schleichenden Prozesse werden medial weniger thematisiert.

Führen drastische Temperatur- und Wetterveränderungen eher zu Konflikten oder zu mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Maßgeblich sind Institutionen, die den Zugang zu und die Verteilung sowie Kontrolle von Ressourcen wie Land und Wasser regeln. Zudem ist entscheidend, wie das Verhältnis der Gruppen, die sich eine Ressource teilen, zueinander ist. Haben sie ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis, ist die Wahrscheinlich hoch, dass sie bei einer Dürre zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Bestehen bereits Konflikte zwischen den Gruppen, kann eine Abnahme von Weideflächen Konflikte verstärken. Das heißt, der Klimawandel und Umweltveränderungen können wie Brandbeschleuniger oder Risikomultiplikatoren wirken. Wo es aber keine „Glut“ gibt, entfachen klimatische Änderungen auch selten ein Feuer.

Können Sie das bitte an einem konkreten Beispiel konkretisieren?

Im Norden Kenias, wo ich lang geforscht habe, lässt sich das gut beobachten. Dort führt eine umweltbedingte Verknappung von Weideflächen und Wasserressourcen eher zu einer Verschärfung von bewaffneten Konflikten zwischen befeindeten Viehhaltergruppen, während Gruppen, die positive Beziehungen haben, eher Ressourcen teilen. Die Verfügbarkeit von Ressourcen ist aber nur ein Teil in dem größeren „Konfliktpuzzle“. Institutionen und die Ressourcengovernance, die den Zugang und die Kontrolle zu Ressourcen regeln, spielen meistens eine größere Rolle.      

Wenn man die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten besser verstehen will, dann am ehesten dort, wo diese Phänomene parallel auftreten und die Abhängigkeit von Land und Wasser hoch ist.

Auch in Deutschland häufen sich Extremwetterlagen mit verheerenden Folgen. Was folgt daraus, um auch im Ausnahmezustand die öffentliche Sicherheit hierzulande zu gewährleisten? 

Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, der sowohl in der Vorbereitung auf als auch bei der akuten Bewältigung von Extremwetterlagen über erhebliche Fähigkeiten verfügt. Das führt dazu, dass zwar die Sachschäden bei Flutereignissen hoch ausfallen, die Anzahl der Opfer aber meist relativ gering bleibt. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn man die aktuelle Situation in Bayern mit den Auswirkungen der Überflutungen in Kenia aus dem April vergleicht. Hier waren deutlich mehr Opfer zu beklagen und der Staat war nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit durchgehend zu gewährleisten.  

Was kann Deutschland in Sachen Risiko- und Krisenmanagement lernen von Ländern, die bereits erfolgreich mit Folgen des Klimawandels umgehen? Was können wir davon umsetzen?

Gerade mit Blick auf Starkregenereignisse und Hitzewellen muss der Natur wieder mehr Raum gegeben werden. Zum Beispiel können Grünflächen, sowohl im ländlichen Raum als auch in der Stadt, Wasser aufnehmen und bei Extremtemperaturen für Abkühlung sorgen.

Klimawandel und Umweltschutz gehen Hand in Hand. Glauben Sie, dass die aktuellen und geplanten Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen ausreichen, oder brauchen wir radikalere Ansätze?

Weltweit sind wir im Moment nicht auf einem Emissionspfad, mit dem wir die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzen können. Wahrscheinlicher ist, dass wir im Jahr 2100 bei 2,7 Grad landen werden. Das wird eine ganz andere Welt als wir sie jetzt haben. 2,7 Grad global bedeutet regional, insbesondere in den nördlichen Breiten, eine Erwärmung von 7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Es macht mir Sorgen, wenn ich daran denke, dass meine Kinder und deren Kinder das erleben werden. Der Klimawandel ist sowohl zeitlich als auch geographisch, wenn wir an die globale Verteilung der Verwundbarkeit gegenüber Klimafolgen denken, ungerecht. Wir müssen daher unsere Anstrengungen beim Klimaschutz deutlich erhöhen und grundlegend unseren Lebensstil und die Fokussierung auf „immer mehr“ überdenken.  

Was lernen angehende Polizeibeamtinnen und -beamte in ihrem Studium an der HWR Berlin über die Verbindung zwischen Klimawandel und Risiko- und Krisenmanagement?

Das müssten Sie die Studierenden am besten selbst fragen! In meinen Lehrveranstaltungen versuche ich, vor allem Denkanstöße zu geben und Diskussionsräume zu schaffen. Zu Beginn jeder Sitzung sprechen wir über aktuelle Nachrichten, die die Studierenden mitbekommen haben, und fragen uns dann, was die mit den Inhalten der Lehrveranstaltung zu tun haben. Dadurch werden zum Beispiel Zusammenhänge zwischen dem aktuellen Nahostkonflikt und Demonstrationen in Berlin und Umweltveränderungen in Teilen Afrikas und Migration deutlicher. Im Anschluss gehen wir dann auf die Auswirkungen dieser Phänomene auf die Polizeiarbeit ein und schauen, wo Risiken und Chancen bestehen.   

Als Geograph hätten Sie sich auch mit Stadt- und Regionalplanung beschäftigen können, mit Vulkanen oder Erdplatten. Weshalb setzen Sie sich als selbsterklärter Optimist mit Risiken und Krisen auseinander?

Im Norden Kenias habe ich die Folgen von Gewaltkonflikten hautnah erlebt. Wenn Du nachts in Deinem Zelt liegst, das Gewehrfeuer hörst und darauf hoffst, dass die Gruppe „gewinnt“, bei der Du gerade untergekommen bist, dann macht das was mit einem. Mir hat es viel Motivation gegeben, mich mit bewaffneten Konflikten und Sicherheitsrisiken zu beschäftigen und nach Lösungen zu suchen. Optimistisch an Herausforderungen heranzugehen, bedeutet für mich, sich daran zu erinnern, dass wir Risiken und Krisen nicht schutzlos ausgeliefert sind. Wir können (und sollten!) uns darauf vorbereiten. Auch der Glaube in die eigenen Fähigkeiten und die immer wieder zu beobachtende Bereitschaft von Nachbarschaften, in Krisenzeiten zusammenzustehen, macht Hoffnung.   

Prof. Schilling, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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