25.06.2024 — Pressemitteilung 24/2024Pressemitteilung 24/2024 | 25.06.2024

Duales Studium

Tue Duales und rede darüber – aber wie?

Perspektivwechsel: Mehr Studierende, Praxispartner und Lehrende für das duale Studium gewinnen – ein Interview mit Geschäftsstellenleiterin der Dachmarke »Duales Studium Berlin«, Ewa Tränkner.

Ewa Tränkner ist Geschäftsführerin der Landesagentur Duales Studium Berlin. Foto: ExperDual/Oliver Giel

Zur Person

Ewa Tränkner ist Geschäftsführerin der Landesagentur Duales Studium Berlin. Sie hat selbst dual studiert, arbeitete als Koordinatorin für einen dualen Studiengang und war am Fachbereich Duales Studium der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) für Studiengangsentwicklung und -akkreditierung zuständig. Seit 2022 leitet sie die Geschäftsstelle der Dachmarke „Duales Studium Berlin“, einer Initiative der Senatsverwaltung für Wissenschaft und der staatlichen und konfessionellen Hochschulen mit dualem Studienangebot in Berlin.


Zukunft

Frau Tränkner, wird das duale Studium auch in zehn Jahren noch zeitgemäß sein?

Auf jeden Fall! Duale Studiengänge – mehr als andere – haben das Potential, stets mit der Zeit zu gehen. Die Arbeitswelt wird ständig mit neuen Herausforderungen konfrontiert – sei es die Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder neue Arbeitszeitmodelle. Unternehmen müssen dem frühzeitig begegnen. Dafür braucht es Fachkräfte mit einer Qualifikation auf aktuellem Stand. Das ist eine große Aufgabe, auch für die Hochschulen.

Und weshalb sehen Sie das duale Studium hier als einen wichtigen Schlüssel?

Für Studierende ist es durch den Wechsel zwischen Theoriephasen an der Hochschule und den Praxisphasen in Ausbildungsunternehmen und -behörden viel leichter, up-to-date zu bleiben. Sie setzen sich bereits im Studium mit aktuell relevanten anwendungsorientierten Fragestellungen auseinander und lernen an ihren Arbeitsplätzen alles, um nach dem Studium direkt in den Job einsteigen zu können.

Übersicht der Förderung des Transfers zwischen Hochschulen und Arbeitgebern im dualen Studium. Quelle: ExperDual/Sophie Köhler

Vielfalt

So neu ist das duale Studium gar nicht – und trotzdem muss es immer wieder erklärt werden. Wie kommt das?

Das duale Studium gibt es schon seit rund 50 Jahren. Vorreiter war die heutige Duale Hochschule Baden-Württemberg. Das Fundament gelegt haben die Berufsakademien mit einer relativ einheitlichen organisatorischen und zeitlichen Struktur. Doch dies ist mittlerweile nur noch eine Ausgestaltungsform unter vielen für das duale Studium.

Es gibt mehrere duale Studienformate?

Was allen dualen Studiengängen gemein ist, ist die intensive inhaltliche und organisatorische Verbindung von Hochschule und Arbeitgeber, manchmal auch noch der Berufsschule. Wie diese, sogenannte systematische Verzahnung der Lernorte ausgestaltet ist, ist frei und hängt von den Besonderheiten der Fachdisziplin, den Rahmenbedingungen der Hochschule und den Bedarfen der Arbeitgeber ab. So entsteht Vielfalt – die halt auch immer wieder erklärt werden muss.

Marketing

Inwiefern unterscheiden sich die Marketingansätze für duale Studiengänge in verschiedenen Bundesländern oder Regionen Deutschlands?

Viele duale Studiengänge werden von Hochschulen in Kooperation mit lokalen Unternehmen und inzwischen wie in Berlin auch Behörden angeboten. Dies erleichtert den Studierenden die Verbindung von Theorie und Praxis, da die Lernorte meist in derselben Region liegen. Und als regionales Angebot orientiert sich die Vermarktung des dualen Studiums an deren regionalen Besonderheiten. So spielt die Wirtschaftsstruktur eine Rolle und ob es sich um eine Stadt handelt oder um ländliche Strukturen. Entsprechend wird der Fokus in der Kommunikation unterschiedlich gesetzt – sei es die Betonung der lokalen Verbundenheit oder die besondere Art der Kommunikation, inklusive die Wahl der Werbeträger. In Berlin kommen bei Studieninteressierten zum Beispiel witzige Sprüche auf Werbegeschenken wie Jutebeuteln gut an.

Das sind in der Regel junge Menschen, die von diesem Studienformat schon einmal gehört haben. Wie können aber mehr Abiturientinnen und Abiturienten erreicht werden?

Das ist die wohl alles entscheidende Frage, nicht nur, wenn’s um das duale Studium geht. Es geht meines Erachtens um eine Kombination aus mehreren Marketing- und Informationsaktivitäten. Wichtig ist zum Beispiel, das duale Studium als möglichen Bildungsweg nach der Schule über Informationsveranstaltungen bekannter zu machen. In Berlin bieten wir neben Workshops mit Schülerinnen und Schülern der Oberstufe auch Informationsveranstaltungen für die Lehrer*innen und Berater*innen der Berufsorientierung an und stellen ihnen spezielle Infomaterialien zur Verfügung.

Ein breiteres Angebot an dualen Studiengängen verlangt nach mehr Lehrenden…

… die Lust haben, sich auf einen Perspektivwechsel einzulassen, die Zusammenarbeit mit der Praxis als wertvoll für die Studierenden und als gute Möglichkeit empfinden, spannende Impulse für ihre eigene Arbeit zu erhalten. Auch die müssen wir gezielt ansprechen. Vor allem Hochschulen für angewandte Wissenschaften arbeiten mit vielen Partnern in Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Das duale Studium funktioniert nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen mit Praxiserfahrung und -bezug, an Forschung interessierten Lehrbeauftragten aus der Praxis und den Beauftragten in den Ausbildungsunternehmen und -institutionen.  

Vernetzung

Sie setzen also auch auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren?

Unbedingt. Wir führen gemeinsam mit der Jugendberufsagentur ein Webinar zum dualen Studium für die Eltern durch, denn sie sind wichtige Ratgeber*innen für die jungen Menschen. Und es ist wichtig, dass Hochschule und Unternehmen bei der Studierendengewinnung zusammenarbeiten. Gemeinsame Messen, Schnuppertage mit Vorlesungsbesuch in dualen Studiengängen und Praktika bei den kooperierenden Firmen bieten den Studieninteressierten reale Einblicke und eine gute Unterstützung bei ihrer Berufsorientierung.

Und wie können Unternehmen und Behörden ins Boot geholt werden?

Auch bei der Gewinnung neuer Praxispartner spielen eigene Erfahrungen im dualen Studium eine große Rolle. In Berlin gibt es das duale Studium seit Beginn der 1990er-Jahre. Alumni der dualen Studiengänge haben in vielfältigen Branchen und Unternehmen mittlerweile Führungspositionen inne. Überzeugt von ihrem eigenen Bildungsweg, setzen sie sich zunehmend dafür ein, dass ihre Arbeitgeber eigene duale Studienplätze anbieten.

Wie kann das Zusammenspiel von Hochschulen, Unternehmen und anderen Akteuren im Bereich Marketing verbessert werden?

Letztendlich haben alle Akteure das gleiche Ziel: Sie wollen motivierte künftige Fachkräfte finden, gut qualifizieren und binden. Der Schlüssel in einer guten Zusammenarbeit ist, sich als wichtige Partner auf Augenhöhe zu begegnen. Sich des gemeinsamen Ziels bewusst zu werden, Unterschiedlichkeit als Gewinn zu sehen und erkennen, dass das Zusammenbringen der spezifischen Expertisen der einzelnen Akteure gerade den großen Mehrwert des dualen Studiums darstellt, hilft gemeinsame Lösungen auch bei der Studierendengewinnung zu finden. Das führt nicht nur zu Synergieeffekten, sondern auch zu einer wesentlich besseren Wahrnehmung der dualen Studienangebote bei den Studieninteressierten.

Wie kann das duale Studienangebot deutschlandweit für eine breitere und diversere Zielgruppe zugänglich gemacht werden? Eines der Themen auf der Tagung ExperDual in Berlin im Juni 2024. Foto: ExperDual/Oliver Giel

Digital

Ihre eigentliche Zielgruppe erreichen Sie wahrscheinlich auch gut digital?

Ja, genauso wichtig ist natürlich eine informative Website und ein attraktives Social-Media-Marketing. Gerade Letzteres ist eine Herausforderung, denn Themen der Studien- und Berufsorientierung sind für jungen Menschen nur während eines relativ kurzen Zeitabschnitts ihres Lebens interessant. Sie wechseln je nach Trend und folgen häufig neuen Social-Media-Kanälen. Auch hier arbeiten wir über Multiplikatorinnen und Multiplikatoren.

Duale Influencer*innen?

Ja, so könnte man sie nennen. Besonders authentisch sind dual Studierende und duale Alumni, die von ihren persönlichen Erfahrungen berichten und als Vorbilder wahrgenommen werden. Das sind unsere besten Botschafter*innen, denn sie sind überzeugt, dass es der richtige Weg für sie ist oder war, da er zu ihnen passt und mit Erfolg und Glück verbunden ist. Es geht gar nicht darum, dass jede oder jeder dual studieren soll, nur von der Möglichkeit sollten die Schüler*innen gehört haben. Hochschulen müssen sicherstellen, dass ihre Marketingstrategien nicht nur attraktiv, sondern auch authentisch die dualen Studienangebote widerspiegeln.

Im Juni 2024 kamen auf der Tagung ExperDual in Berlin 130 Personen aus Hochschulen, Partnerunternehmen, Kammern und von anderen Arbeitgebern zusammen und berieten über die Möglichkeit der engeren Kooperation. Foto: ExperDual/Oliver Giel

Reichweite

Was wird getan, um das Studienangebot deutschlandweit für eine breitere und diversere Zielgruppe zugänglich zu machen?

Genau das wurde auf der jüngsten Tagung ExperDual diskutiert. Ein Ansatz ist zum Beispiel die Dualisierung regulärer Studiengänge. Sie ermöglicht, dass auch in Fachdisziplinen und/oder Regionen dual studiert werden kann, wo es nicht so hohe Bedarfe seitens der Unternehmen gibt, um damit ganze duale Studienkohorten zu füllen. Eine Entwicklung, die zunehmend auf Hochschulen, aber auch Unternehmen zukommt, ist, sich auf Personen mit nicht deutschen Sprachkenntnissen einzustellen und ihnen das Lernen in der Hochschule und an der Arbeitsstätte zu ermöglichen.

Gibt es internationale Best Practices oder europäische Initiativen im Bereich Marketing für duale Studiengänge, von denen deutsche Hochschulen und Unternehmen lernen können?

Das duale Studium ist „Made in Germany“ und noch immer ist Deutschland hier Vorreiter. Wir erhalten viele Anfragen von ausländischen Wissenschaftsministerien und Hochschulen, die sich vor Ort anschauen wollen, wie das System funktioniert. Seit kurzem gibt es zum dualen Studium eine europäische Hochschulallianz, genannt EU4Dual. Ziele der Kooperation der europäischen Partnerhochschulen sind die Definition einheitlicher Qualitätsstandards für das duale Studium in den Mitgliedsstatten der Europäischen Union und eine Stärkung des dualen Studienangebots. Über den Austausch mit internationalen Partnern erhalten deutsche Hochschulen Impulse für ihr eigenes duales Studienangebot und dessen Vermarktung.

Ausblick

Wie wird das duale Studium die nächste Generation an Fachkräften prägen?

Das Besondere am dualen Studium ist, dass die Studierenden von Anfang an lernen, sich in der Hochschul- und der Arbeitswelt gleichzeitig zurecht und für Fragestellung aus der Praxis theoretisch fundierte Lösungsansätze zu finden. So wird auch die neue Generation an dualen Absolventinnen und Absolventen in der Lage sein, in einer Zukunft, die immer wieder neue Herausforderungen bereithalten wird, wissenschaftsbasierte und dabei praxistaugliche Lösungen zu entwickeln.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Tag in der Zukunft verbringen – welches Jahr würden Sie wählen und was würden Sie als erstes erkunden?

Wenn ich diese Frage auf meine Arbeit beziehe, würde ich fünf Jahre in die Zukunft reisen und schauen, ob Theorie und Praxis zur Dachmarke „Duales Studium Berlin“ zusammenkommen. Ich habe so viele Ideen zum dualen Studium und es wäre schon spannend zu erfahren, ob das, was ich mir aktuell theoretisch überlege, praktisch aufgeht.

Frau Tränkner, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

www.hwr-berlin.de