Wie gelingt kritische Sicherheitsforschung
Seit zehn Jahren gibt es an der HWR Berlin das Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS Berlin). Ein Interview mit Gründungsdirektor Prof. Dr. Clemens Arzt.
Zur Person
Prof. Dr. Clemens Arzt ist seit 1999 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht mit dem Schwerpunkt Polizei- und Ordnungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsches und ausländisches Polizei- und Versammlungsrecht und das Recht der Fahrzeugautomatisierung. Er ist Autor zahlreicher Publikationen auf diesem Gebiet und wird regelmäßig als Sachverständiger in den Bundestag sowie in verschiedene Landtage eingeladen. Clemens Arzt hat mehrere Forschungsaufenthalte in den USA, Italien, Indien, Namibia und zuletzt in Kanada verbracht.
Was verstehen Sie als Staats- und Verwaltungsrechtler unter Sicherheit, Prof. Arzt?
Öffentliche Sicherheit, ein deutlich trennschärferer Begriff als der der inneren Sicherheit, hat aus meiner Sicht zwei Aspekte: Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren und Straftaten. Dazu gehört aber auch die Sicherheit vor übermäßigen und rechtswidrigen polizeilichen Eingriffen in die Grundrechte.
Was bringt hier die Sicherheitsforschung?
Das ist ein sehr weites Feld und richtet sich leider in weiten Teilen auf die Entwicklung immer neuer Überwachungstechnologien für die Polizei. Hier kann Recht versuchen, Begrenzungen von Grundrechtseingriffen zu etablieren, wie wir das zum Beispiel bei der Überwachung der Landesgrenzen in einem Forschungsprojekt als rechtlicher Partner versucht haben. Besser wäre indes eine viel stärkere Ausrichtung der Forschung auf die Entstehungsgründe von Problemen und Abhilfemöglichkeiten. Auch eine deutlich größere Offenheit der Polizeibehörden, ihre eigene Tätigkeit unabhängig wissenschaftlich untersuchen zu lassen, und der Gesetzgeber, neue Grundrechtseingriffe durch externen Sachverstand evaluieren zu lassen, sollten endlich auf die Agenda der Forschungsförderung gesetzt werden
Sie werden oft als Sachverständiger gehört. Woran arbeiten Sie gegenwärtig?
In Hessen wurde Ende März 2023 ein Landesversammlungsgesetz geschaffen, das erheblichen rechtlichen Bedenken aus Sicht der Versammlungsfreiheit begegnet. Hiergegen wird es eine Klage vor dem Staatsgerichtshof in Kassel geben, die ich als Bevollmächtigter vertrete.
Weshalb ist Ihnen das so wichtig?
Der insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer weiter ausgedehnte „Sicherheitsstaat“ führt zu einer stetigen Ausweitung polizeilicher Befugnisse, welche immer neue Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte erlauben. Hier muss eine Umkehr stattfinden. Auch die Versammlungsfreiheit steht seit der Pandemie und mit Blick auf die Aktionen von vor allem jungen Menschen gegen die Klimaerwärmung unter Druck, durch Gesetze und Behörden. Dem gilt es Einhalt zu gebieten, wenn wir den freiheitlichen Charakter dieses Landes schützen wollen.
Gibt es Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen oder geht es Ihnen ganz allgemein um die Durchsetzung von Verfassungsrechten?
Polizeiliche Arbeit wird immer mehr von der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten geprägt. Das liegt in der Natur der Sache. Hier braucht es klare Rahmenbedingungen und das Bundesverfassungsgericht hat seit 9/11 immer wieder neue Gesetze beanstandet. Das europäische Recht setzt ebenso wie das Grundgesetz Grenzen, die endlich Beachtung finden müssen. Dafür setze ich mich in der Wissenschaft und öffentlich ein.
Wie bringt man die Politik dazu, diese besseren Rahmenbedingungen zu schaffen und wie?
Allein gesellschaftlicher Druck kann eine Abkehr vom Konzept des Sicherheitsstaates bringen. Derzeit ist das politische und gesellschaftliche Gefüge hierzu indes wenig geeignet, wie mir persönlich scheint.
Sie waren Gründungsdirektor des FÖPS Berlin. Welche Entwicklung hätten Sie so nicht erwartet, wenn Sie auf die letzten zehn Jahre zurückblicken?
Ich bin durchaus zufrieden, dass wir uns eine so breite Verankerung in der Sicherheitsforschung gerade auch aus kritischer Perspektive erarbeiten konnten. Die Fachwelt kennt das FÖPS Berlin, das war immer Ziel. Das es klappen würde, war kein Automatismus.
Wenn Sie Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich mit dem Gedanken tragen, zu Sicherheit zu forschen, nur einen Tipp geben könnten, welcher wäre das?
Hinterfragen Sie jeden Tag Ihr Forschungsthema und sich selbst.
Wie unterstützt das FÖPS Forschende und weshalb?
Wir sind, denke ich, nach zehn Jahren recht erfolgreich darin, Forschungsoptionen für viele Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer im FÖPS Berlin zu eröffnen und diese zu unterstützen, Forschungsmittel einzuwerben, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu fördern und einen Austausch über die Grenzen von Fachgebieten hin zu etablieren. Zudem haben wir mit den monatlichen Werkstattgesprächen ein Forum für die Diskussion zu Fragen der Sicherheit geschaffen, das gerade auch in der Polizei Aufmerksamkeit findet. Dafür haben wir an der HWR Berlin im Vergleich zu anderen Hochschulen für angewandte Wissenschaften ein gutes Umfeld geschaffen.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am besten?
Ich werde von diesem Staat sehr gut dafür bezahlt, angehende Polizistinnen und Polizisten in einem kritischen Sinne auszubilden und Forschung zu betreiben, die just staatliche Maßnahmen immer wieder kritisch hinterfragt. Das ist ein Privileg, das nur ein freiheitlicher Staat bietet, den zu erhalten wir alle jeden Tag anstreben sollten.
Welches Projekt ist Ihr nächstes?
Ich bin seit April in Pension und arbeite im Kern einfach weiter wie bisher, nur, dass ich nicht mehr regelmäßig unterrichte. Neben der Klage gegen das hessische Versammlungsgesetz werde ich mich in der nächsten Zeit intensiv vor allem mit der polizeilichen Datenverarbeitung und den notwendigen rechtlichen Grenzen befassen. Hier ist noch viel zu tun.
Prof. Arzt, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).