07.03.2023 — Pressemitteilung 10/2023Pressemitteilung 10/2023 | 07.03.2023

Feminismus

Nichts tun verlängert den Status-Quo

Der Internationale Frauentag steht für Autor und Aktivist Martin Speer für Dankbarkeit und Demut und auch dafür, dass ein Interview wie dieses hoffentlich eines Tages überflüssig wird.

Martin Speer ist Autor, Berater und Absolvent der HWR Berlin. Er setzt sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft und das vereinte Europa ein. Im Februar 2023 erschien „Das Buch, das jeder Mann lesen sollte: In 4 Schritten zum Feministen“. Foto: Phil Dera
Martin Speer ist Autor, Berater und Absolvent der HWR Berlin. Er setzt sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft und das vereinte Europa ein. Im Februar 2023 erschien „Das Buch, das jeder Mann lesen sollte: In 4 Schritten zum Feministen“. Foto: Phil Dera

Zur Person

Martin Speer (*1986)ist Autor, Berater und Absolvent der HWR Berlin (BWL, Abschluss 2016).Er ist Partner bei HERR & SPEER und setzt sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft und das vereinte Europa ein.Er ist HeForShe-Botschafter für UN Women Deutschland, wurde von der Bundesregierung im Jahr 2022 in den Gender Equality Advisory Council der G7-Staaten berufen und veröffentlichte Texte in u.a. Der Spiegel, Die Zeit, Capital. Als Teil des Feminist Lab erschien im Februar 2023 sein neustes Buch „Das Buch, das jeder Mann lesen sollte“ im BELTZ Verlag. Vor seinem Studium gründete er zwei Unternehmen.


Sie haben gerade zusammen mit Vincent-Immanuel Herr ein Buch veröffentlicht, in dem Sie Männer einladen und erklären, wie sie in 4 Schritten zum Feministen werden können. Weshalb sollten Männer das tun?

Weil eine geschlechtergerechte Lebens- und Arbeitswelt am Ende auch für Männer gut ist. Es ist der Weg zu einem gesünderen und balancierteren in einer gerechteren und friedlicheren Gesellschaft. Aber das Hauptmotiv für das feministische Engagement von Männern sollte nicht der persönliche Vorteil sein, sondern weil es hier um eine grundlegende Gerechtigkeitsfrage geht: Die Hälfte der Menschheit hat bis heute nicht die gleichen Chancen, Rechte und Sicherheiten. Und wir Männer denken vielfach noch, diese Frage hätte irgendwie nichts mit uns zu tun.

Wie sind Sie auf das Thema Feminismus gekommen?

Durch Menschen, die mir nahestehen. Da waren zum einen andere Männer, die für feministische Fragen schon offen waren, Vincent Herr oder mein guter Freund Benny zum Beispiel, die mir meinen eigenen verinnerlichten Sexismus vor Augen führten. Und zum anderen Personen, wie meine Schwester. Die Gespräche mit ihr und anderen Frauen haben mir geholfen, die Alltäglichkeit und Wucht des Sexismus zu sehen. Dann fängt man an zu lesen, erkennt die strukturelle Dimension und einem wird klar: Nichts tun verlängert den Status-Quo. Das geht so nicht. Wir Männer müssen uns endlich bewegen.

Weshalb dieser allgemeine Fokus auf das Thema Feminismus? Weshalb gerade jetzt?

Weil Geschlechtergerechtigkeit bis heute keine Realität ist, in keinem Land der Welt, nicht in der Wirtschaft, Politik, Kultur oder auch im privaten Leben. Stichwort: Sorgearbeit. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit (61 Prozent) der deutschen Männer glaubt, die Gleichberechtigung sei weitestgehend schon erreicht, hingegen 59 Prozent der Frauen zur Einschätzung kommen, sie sei noch weit entfernt.  Der Unterschied macht deutlich: Es bleibt noch viel zu tun und die Frage der Geschlechtergerechtigkeit hat sich keinesfalls erledigt.

Es gibt Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Genderquoten und einen allgegenwärtigen öffentlichen Diskurs dazu. Weshalb ist das noch nicht genug?

All das sind große Erfolge! Freiwillige Maßnahmen haben nachweisbar wenig gebracht. Daher sind beispielsweise Quote eine kluge Sache, um den nicht endenden Herrenklüngel und „Thomas-Kreislauf“ endlich aufzubrechen. Wo es aber eine Leerstelle gibt, ist eben bei den Männern selbst. Sie haben sich lange in der Vorstellung ausgeruht, dass Frauen mal schön für ihre Rechte und Sicherheiten kämpfen sollen, es sie selbst aber nichts angeht. Doch Geschlechtergerechtigkeit erreichen wir nur „gemeinsam“, wie es Jutta Allmendinger immer treffend sagt. Männer müssen endlich in eine kritischere Reflektion mit sich selbst kommen und auch gegenüber anderen Männern, das ist besonders wichtig, beim Thema Feminismus Position beziehen.

Hatten Sie bei der Auseinandersetzung mit der Historie und Fragen rund um das Thema Feminismus einen Aha-Moment?

Diese Momente gibt es dauernd. Es ist ein ständiges Lernen, Zuhören, Sich-an-die-eigene-Nase-Fassen. Ich bin immer wieder vor mir selbst erschrocken, wie tief sexistische Muster sitzen, wie ich diese unbewusst aufgenommen habe und bis heute reproduziere. Was mir gehörig Respekt verschafft, sind alle die Frauen und queeren Menschen, die seit Jahrhunderten für das Thema eintreten, gegen harten Gegenwind, bis heute. Davon bekomme ich als privilegierter weißer Mann nur einen Bruchteil ab.

Inwiefern nützen mehr Frauenrechte auch Männern beziehungsweise der Allgemeinheit?

Dass wir bei einer Frage von Menschenrechten und Würde über die Dimension von „Nützlichkeit“ sprechen müssen, ist eigentlich ein Skandal. Aber in unserer Arbeit mit Führungskräften in Unternehmen oder Behörden ist das ein zentraler Schlüssel. Es gibt eine breite Studienbasis, die zeigt, dass ein geschlechtergerechtes Umfeld für Frauen wie Männer vorteilhaft ist. Es ist der Schlüssel zu mehr Gesundheit, Zufriedenheit, Stabilität und in den Unternehmen zu mehr Kreativität, Krisenresilienz und sogar Profitabilität.

Läuft Ihr Ruf nach mehr Feminismus in unserer Gesellschaft nicht konträr zu der Forderung, das Denken in Frauen- und Männerstereotypen runterzufahren?

Das ist eine richtig gute und berechtigte Frage! Auf den ersten Blick scheint es so. Viele mögen denken: Ach, feministische Außenpolitik zum Beispiel ist doch nur etwas für Frauen. Das Gegenteil ist der Fall. Feministisches Handeln und Denken macht das Fenster weit auf, es nimmt die vielen Schattierungen menschlichen Lebens in den Blick, darunter eben ganz besonders jene, die lange im Abseits standen. Der Feminismus ist der Weg, um die Stereotypen eines Tages zu überkommen.

Wie leisten Sie Überzeugungsarbeit und bei wem?

Wir sind gut beschäftigt mit unserem Engagement als HeForShe-Botschafter für UN Women Deutschland und begleiten unter dem Dach von HERR & SPEER Unternehmen und Behörden mit Vorträgen und Trainings. Eine besondere Freude und Ehre war, dass wir 2022 Teil des Gender Equality Advisory Councils der G7-Staaten sein konnten. Schließlich haben wir es hier mit einer globalen Frage zu tun, die die Antwort auf viele Krisen unserer Zeit ist.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Buch erhalten?

Erstaunlich wenige Reaktionen von Männern, dafür von Frauen, die es lesen oder es Männern in ihrem Umfeld schenken. Leider ist das nicht überraschend. Es untermauert die These, dass viele Männer immer noch unter ihrer patriarchalen Käseglocke hängen. Die Süddeutsche Zeitung nennt das Buch „eine gelebte feministische Utopie“. Das hat uns gefreut. Ist doch super, wenn Utopien gelebt werden können und damit hoffentlich mal Realität werden.

Wofür steht für Sie der Internationale Frauentag?

Große Dankbarkeit und Demut vor den Feministinnen, Wissenschaftlerinnen, Denkerinnen und Aktivistinnen. Und dafür, dass ein Interview wie dieses hoffentlich eines Tages überflüssig wird.

Herr Speer, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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