03.05.2021 — Pressemitteilung 23/2021Pressemitteilung 23/2021 | 03.05.2021

Diversity

Druck von Investoren bringt mehr Diversität in Führung

Für große internationale Vermögensverwalter ist Diversität Anlagekriterium. Das könnte für deutsche Unternehmen mit homogenen Vorständen zum Risiko werden, zeigt neue Studie der HWR Berlin.

Großer Konferenztisch vor einer Panorama-Glasfront.
Noch herrscht überwiegend Homogenität in vielen Vorständen und Aufsichtsräten deutscher Unternehmen. Doch Investoren achten bei der Auswahl von Portfoliogesellschaften zunehmend auf Diversität. Foto: Benjamin Child
  • Für immer mehr große internationale Investoren zählt Diversität in Führungsgremien Rolle bei Auswahl der Portfoliogesellschaften
  • Aktuelle Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin belegt, dass deutsche Unternehmen aufgrund ihrer überwiegend homogen besetzten Vorstände und Aufsichtsräte deshalb Nachsehen haben könnten
  • Studie gibt Handlungsempfehlungen, um Einflussmöglichkeiten von Investoren für mehr Diversität in deutschen Spitzengremien effektiv zu nutzen und auszubauen

Im Kapitalmarkt tut sich etwas. Immer mehr Vermögensverwalter machen Diversität im Board zu einem Anlagekriterium bei ihren Portfoliogesellschaften. Große internationale Investoren wie BlackRock, Federated Hermes, Norges und Amundi verpflichten Emittenten zu ausreichender Geschlechterdiversität, einem breiten Skillset, internationalen Perspektiven oder auch zur Repräsentanz ethnischer Minderheiten in den Führungsgremien. Für große deutsche Unternehmen, deren Vorstände und Aufsichtsräte nach wie vor sehr homogen zusammengesetzt sind, könnte dies zu einem bedeutenden Risiko für ihren Zugang zu Eigenkapital werden. Eine aktuelle Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) liefert jetzt umfassende Erkenntnisse, inwiefern die größten Investoren im deutschen Markt Einfluss auf mehr Diversität nehmen.
 
Ein Expert*innen-Netzwerk der HWR Berlin aus Wissenschaftler*innen, Jurist*innen und Finanzexpert*innen aus der Praxis untersuchte in einer umfassenden Studie, welchen Einfluss institutionelle Investoren auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen nehmen. Noch herrscht mehrheitlich Homogenität in vielen Spitzengremien vor. Nutzen Investoren ihre Einflussmöglichkeiten zur Schaffung von mehr Diversität und wenn ja, wie? Welche Einflussmöglichkeiten haben große Investoren überhaupt? Welche Anforderungen stellen sie an die Diversität in ihren Portfoliogesellschaften? Und welcher Investor formuliert nur ein Lippenbekenntnis, welcher Investor meint es ernst?
 
Grundsätzlich nimmt die Relevanz von Investoren in der deutschen Corporate Governance deutlich zu. Das ergab die Analyse unter dem Titel: „Forderungen mit wenig Durchschlagskraft: Der Einfluss von Investoren auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen“. Durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) wurde der Einfluss der Aktionäre und damit vor allem auch der institutionellen Investoren auf die Governance der Unternehmen gestärkt. Jedoch verfügen den Berechnungen der Studie zufolge die 30 einflussreichsten institutionellen Investoren im DAX® und MDAX® nur über 23 Prozent der Stimmrechtsanteile in den gelisteten Unternehmen. Die übrigen Stimmrechte verteilen sich zu einem großen Anteil auf nicht identifizierbare Investoren und auf große Ankerinvestoren.
 
Die Hälfte der 30 einflussreichsten institutionellen Investoren knüpfen ihre Beteiligung gemäß ihren Anlagerichtlinien an eine diverse Zusammensetzung der Führungsgremien. Investoren werden sich der abzeichnenden Korrelation von Diversität und Geschäftserfolg zunehmend bewusst und wollen Geschäftsrisiken, die aufgrund von Gruppendenken in homogenen Teams entstehen können, vermeiden.
 
Im deutschen Corporate Governance System gestaltet sich eine gezielte und effektive Einflussnahme der Investoren hin zu mehr Diversität jedoch als schwierig. Schon der Zugang zu Informationen über den Diversitätsgrad der Unternehmen ist mühsam. Teilweise ist das Auffinden der relevanten Daten zeitaufwendig und die Verantwortlichkeit im Aufsichtsrat für das Thema unklar.
 
Darüber hinaus mangelt es vor allem ausländischen Investoren an Verständnis für die Besonderheiten des dualistischen deutschen Corporate Governance Systems, die sich insbesondere in der Existenz von Vorstand und Aufsichtsrat statt eines einheitlichen Board of Directors zeigen. Anlagerichtlinien, die Diversitätsanforderungen unterschiedslos für die „Boards“ ihrer Beteiligungsunternehmen formulieren, sind häufig nicht ausreichend auf das deutsche Corporate Governance-System zugeschnitten und daher im Sinne einer Verhaltenssteuerung zum großen Teil nicht zielführend.

Im Ergebnis übten institutionelle Investoren in der Hauptversammlungssaison 2020 ihr Stimmrecht bei der Wahl von Aufsichtsratskandidat*innen nur knapp zur Hälfte gemäß ihren Diversitätsanforderungen aus. Demgegenüber wurden 52 Prozent – und damit die Mehrheit der Stimmrechte – entgegen ihrer Diversitätsanforderungen oder gar nicht ausgeübt.  

Insgesamt erwies sich keiner der untersuchten Investoren in der letzten Hauptversammlungssaison sowohl in seinen Anlagerichtlinien als auch durch sein Stimmverhalten als Vorreiter für das Thema Diversität.

Die Studie formuliert eine Reihe von Handlungsempfehlungen, um die Einflussmöglichkeiten der Investoren für mehr Diversität in den deutschen Spitzengremien effektiv zu nutzen und auszubauen. Ist Investoren das Thema Diversität im Rahmen ihrer Anlagestrategie ein Anliegen, sind die klare Formulierung der Anforderungen an die Portfoliogesellschaften sowie ein Zuschneiden der Richtlinien auf den deutschen Kontext Voraussetzung. Wenn der Staat die Einflussmöglichkeiten der Investoren als Hebel zur Schaffung von Geschlechterparität einsetzen möchte, sollte der Gesetzgeber die diversitätsbezogenen Offenlegungspflichten der Emittenten vereinfachen, das Offenlegungsformat vereinheitlichen und die Zugänglichkeit der Informationen verbessern („What gets disclosed, gets discussed.“). Nicht zu verkennen ist die Rolle der Kleinanleger*innen, die ihren Präferenzen Ausdruck verleihen können, indem sie ihr Geld solchen Vermögensverwaltern anvertrauen, die ein Augenmerk auf Diversität richten.

Die Studie wurde vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Autor*innen der Studie

  • Dr. Philine Sandhu, Akademische Leitung, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
  • Daniela Heyer, Finanzexpertin & CFO, Storengy Deutschland GmbH
  • Dr. Gabriele Apfelbacher, Senior Counsel, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP
  • Lukas Marschallek, Alumnus der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Kontakt

Dr. Philine Erfurt Sandhu
Mobil: +49 178 – 371 28 22
E-Mail: philine.erfurtsandhu(at)hwr-berlin.de

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

www.hwr-berlin.de