Gegen das Vergessen
Die HWR Berlin arbeitet die Historie ihrer Gebäude auf. Am 7. November 2019 wurde in Schöneberg eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Kriegsgefangenen des nationalsozialistischen Regimes aufgestellt.
Zwischen 1940 und 1944 beherbergte das heutige Seminar- und Verwaltungsgebäude der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin die Abteilung Kriegsgefangenenwesen des Oberkommandos der Wehrmacht. Die NS-Behörde erarbeitete hauptsächlich Richtlinien für die von den Nationalsozialisten betriebenen Kriegsgefangenen-Lager. „Auch wenn es zwischen unserer Hochschule und den Einrichtungen des NS-Staates, für die dieses Gebäude gebaut wurde, keine institutionelle Verbindung gibt, sollen Studierende und andere Hochschulmitglieder erfahren, was hier während der Nazizeit geschah“, sagt Prof. Dr. Andreas Zaby, Präsident der HWR Berlin. „Wir müssen uns erinnern, wenn wir die Gesellschaft, in der wir heute leben, interpretieren und wenn wir zu ihrer Gestaltung einen Beitrag leisten wollen“, so Zaby.
Steffen Krach, Berliner Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, unterstreicht die Bedeutung einer gemeinsamen Erinnerungskultur in seiner Rede während der feierlichen Veranstaltung aus Anlass der Gedenktafelenthüllung. Es sei wichtig, die Geschichte dieses Ortes wach zu halten und Lehren daraus zu ziehen. „Damit zeigt die HWR Berlin, dass sie Verantwortung übernimmt und ein Signal setzt gegen das Vergessen“, würdigt Krach das Engagement der Hochschule.
Die beiden Gebäude der HWR Berlin an der Badenschen Straße im Stadtteil Schöneberg sind eingebettet in einen städtebaulich-historischen Kontext. Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg Angelika Schöttler geht in ihren Ausführungen auf die umfangreiche und vielseitige Gedenkkultur auch im Stadtteil im und rund um das Bayerische Viertel ein. Sie verweist auf die ehemalige Synagoge, die vielen Stolpersteine und die „Orte des Erinnerns“ mit den bedrückenden Tafeln an den Laternen als Dokumentation der Ausgrenzung, Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Ermordung von Berliner Jüdinnen und Juden. Die neue Gedenktafel zur Erinnerung an die Kriegsgefangenen des nationalsozialistischen Regimes erweitere den Lernort Hochschule um eine historische Dimension und mache ihn zu einem Gedenkort und Mahnmal, mache Geschichte fassbar.
Allein von den ca. 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben, so Schätzungen aus der Forschung, weit über die Hälfte in deutscher Gefangenschaft – durch Tötungen, Unterernährung, Zwangsarbeit, Misshandlungen und Seuchen. Historiker Stefan Petke ist überzeugt: „Wir wissen noch zu wenig über das Schicksal der Kriegsgefangenen“ und weist darauf hin, dass es in Deutschland noch immer keinen zentralen Gedenkort für diese Opfergruppe des NS-Regimes gebe. Umso wichtiger sei die geschichtliche Aufarbeitung wie die der HWR Berlin. „Trotzdem dieses Kapitel der Gebäudegeschichte nur eine relativ kurze Episode umfasst, so hatte das Wirken der Abteilung Kriegsgefangenenwesen des Oberkommandos der Wehrmacht doch verheerende und weitreichende Folgen für die Menschen“, ordnet Petke den Gehalt des Vermächtnisses ein.
Die Geschichte des Gebäudes hat die HWR Berlin von Prof. Dr. Dorothea Schmidt, Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, aufarbeiten lassen und nahm dies zum Anlass, um eine mehrsprachige Gedenktafel im Foyer des Seminar- und Verwaltungsgebäudes aufzustellen. Der Entwurf stammt von Designerin Helga Lieser, die ihr künstlerisches Schaffen seit vielen Jahren zeitgeschichtlichen Themen widmet und aktiv mit kulturpolitischem Engagement verbindet. Ihr war es ein Anliegen, das Gedenktafel-Triptychon haptisch und sinnbildlich im Fundament des Gebäudes zu verankern, jedoch als frei stehende Installation zu platzieren, losgelöst vom historischen Mauerwerk. Diese Epoche habe eine eigene Geschichte, die verbunden, aber nicht Teil der heutigen sei, so die Künstlerin.
„Es geht um das bloße Erinnern hinaus, darum, eine tiefe Wertschätzung für die Freiheiten unserer Demokratie ebenso zu entwickeln wie eine Widerstandsfähigkeit gegen das unerträgliche Wiederaufkeimen antisemitischen und nationalistischen Gedankengutes in unserem Land“, so HWR-Präsident Prof. Dr. Andreas Zaby zu den Beweggründen der Geschichtsaufarbeitung.
Geschichte des Gebäudes Badensche Str. 50–51
1939 wurde an der Badenschen Straße 50–51 in Berlin Schöneberg ein Verwaltungsgebäude für die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel errichtet. 1940 zog in das heutige Seminar- und Verwaltungsgebäude der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin die Abteilung Kriegsgefangenenwesen des Oberkommandos der Wehrmacht ein. Die NS-Behörde erarbeitete hauptsächlich Richtlinien für die von den Nationalsozialisten betriebenen Kriegsgefangenen-Lager. Gegen Kriegsende wurde der Bau ausgebombt, ab 1951 wieder aufgebaut. Die Deutsche Hochschule für Politik nahm ihren Lehrbetrieb auf – eine Institution, die bereits in den 1920er Jahren unter Theodor Heuss existiert hatte und nunmehr von Otto Suhr wiederbegründet wurde. Nach deren Umzug im Jahr 1959 an die Freie Universität Berlin nutzen das Hochschulinstitut für Wirtschaftskunde und die Höhere Wirtschaftsfachschule die Räume, die ab 1965 in der Wirtschaftsakademie aufgingen. Diese Einrichtung fand ihre Fortsetzung und Erweiterung in der 1971 gegründeten Fachhochschule für Wirtschaft, nach der Integration der Berufsakademie 2003 umbenannt in Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.