"Vorhandene Strukturen nachhaltig verändern"
Seit 25 Jahren kämpft Viola Philipp als hauptberufliche Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte für bessere Studien- und Arbeitsbedingungen für Frauen an der Hochschule. Im Interview blickt sie zurück.
Sieben Mal wurde Viola Philipp wiedergewählt und in ihrem Amt bestätigt. Sie ist damit die dienstälteste Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an einer Berliner Hochschule im Hauptamt. Im Interview blickt Sie zurück und lässt die Entwicklungen der letzten 25 Jahre Revue passieren.
25 Jahre an der HWR Berlin: Wie war die Situation an der Hochschule als Sie anfingen, was war die größte Herausforderung in der ersten Zeit?
Zum September 1999 wurde ich das erste Mal in das Amt gewählt, das ich als Stellvertreterin der Frauenbeauftragten in vielen Facetten schon kannte. Die Hochschule hieß Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) und hatte noch keine 3000 Studierende an einem Standort in Schöneberg, Fachbereiche gab es nicht, es war fast eine Einfachhochschule. Der Frauenanteil an den Professuren betrug gerade 22 %, also 11 Frauen von insgesamt 50 Professor*innen. Es gab etliche Vorarbeiten, meine Vorgängerin hatte schon die Kärrnerarbeit gemacht und etliche Beteiligungsstrukturen eingefordert, die nach der Erweiterung des Berliner Hochschulgesetz vorgesehen waren. Sogar eine Frauenförderrichtlinie von 1994 war schon beschossen. In dieser Zeit begannen wir in der Hochschule und vor allem auch in der Vernetzung der Frauenbeauftragten innerhalb Berlins mit Mails zu arbeiten, eine große Erleichterung.
Lippenbekenntnisse, aber keine echte Teilhabe
Die größte Herausforderung in der ersten Zeit bestand darin, die Notwendigkeit und Chancen der Gleichstellung verschiedensten Mitgliedern der Hochschule nahezubringen und sie mindestens für einzelnen Vorhaben zusammenzubringen und zu gewinnen. Lippenbekenntnisse zur Gleichstellung und einige Aktivitäten waren vorhanden, aber wenn es um echte Teilhabe oder sogar den Verzicht für vorhandene Amtsinhaber ging, war das oft diffizil. Die FHW war zu diesem Zeitpunkt politisch gespalten. Einerseits waren bestimmte Gruppen hilfreich, ich wollte mich jedoch nicht von einer Gruppe vereinnahmen lassen, sondern mit vielen zusammenarbeiten. Zusätzlich war ich zu Amtsbeginn schwanger und musste eine kurze Zeit aussetzen, bis ich mein Kind im Januar 2001 in die ganz neue Kita des Studentenwerks bringen könnte, um nach dem Mutterschutz wieder anzufangen, vergleichbare Elternzeiten mit finanzieller Unterstützung gab es damals noch nicht. Die Kita, die auch auf meine Initiative als Stellvertreterin entstanden war, war neben der FU eigenen Kita, die erste in Berlin an einer Hochschule, neben einer Einrichtung an der Humboldt Universität.
Die größte Herausforderung bestand darin, die Notwendigkeit und Chancen der Gleichstellung verschiedensten Mitgliedern der Hochschule nahezubringen.
Was hat sich seitdem verändert?
Geprägt haben die Hochschule der Zuwachs an neuen, auch in Kooperation mit ausländischen Hochschulen, aufgelegten Studiengängen. Das Personal und die Studierenden veränderten sich. Immer wieder gab es Befürchtungen durch politische Entscheidungen, mit anderen Hochschulen zusammengelegt zu werden, Fusionen mit kleinen Hochschulen (z.B. FH Telekom) wurden als Behauptungsstrategie bewegt. Die erste Fusion entstand, als die staatliche Berufsakademie (BA) in die FHW eingegliedert wurde und ein zweiter Standort dazukam. Die Hochschule wurde nicht umbenannt, aber es wurden dezentrale Strukturen für zwei Dekanate, Fachbereichsräte und dazu entsprechend dezentrale Frauenbeauftragte aufgebaut. Die BA hatte einen Stau bei der Besetzung der Berufungsverfahren, sodass ich ab 2003 gleich zehn Berufungsverfahren an dem neuen Standort begleitete und dabei mitwirkte, dass in den neuen Fachbereich auch die Integration von Gleichstellung stattfand und weibliche Bewerbungen auf Professuren auch mehr Erfolge hatten.
Die zweite Fusion
Der zweiten Fusion der FHW mit der FHVR 2009 gingen lange Vorverhandlungen, auch mit Pausen bei politischen Entscheider*innen, voran. Die Absprachen von zwei Hochschulen nach dem BerlHG mit allen Strukturen, auch für Gleichstellung, war durch mehr Konkurrenz und Verletzungen von Eigenständigkeiten verbunden. Zeitweise gab es für kurze Zeit sogar Doppelstrukturen bei den Organen wie Leitungen und den Frauenbeauftragten. Die weit voneinander entfernten Standorte belasteten ebenfalls. Nun ging es darum, die gleichstellungspolitischen Strukturen möglichst zu vereinigen, dabei Freiräume zu ermöglichen und trotzdem ein möglichst einheitliches Grundkonzept für die vergleichbare Arbeit zu finden. Auch die Akteur*innen in den gleichstellungspolitischen Strukturen waren dabei nicht nur freundlich oder konstruktiv zueinander: eine zwar nicht unerwartbare Folge, aber auch traurig. Meine Position wurde als parteilich wahrgenommen und es musste geworben und moderiert werden. Neu hinzukommende Akteur*innen in Verwaltung und bei den Lehrenden waren offener und es ging langsam voran. Die Tätigkeit einer Frauenbeauftragten kann aus meiner Perspektive nie alleine erfolgreich sein, es benötigt immer Verbündete, manchmal auch wechselnde für verschiedene Fragestellungen.
Die Tätigkeit einer Frauenbeauftragten kann aus meiner Perspektive nie alleine erfolgreich sein, es benötigt immer Verbündete.
Über welchen Erfolg haben Sie sich am meisten gefreut und warum?
Am meisten freue ich mich regelmäßig, wenn es gelingt, vorhandene Strukturen möglichst nachhaltig so zu verändern, dass sie geschlechtergerechter sind und Frauen dann bessere Studien- und Arbeitsbedingungen sowie Aufstiegschancen erhalten. Bei Beginn meiner Tätigkeit gab es noch (juristische) Nachfragen, ob eine Hochschule sich überhaupt mit eigenem Geld dafür engagieren könne, die Unterstützung von familienbedingter Arbeit für Beschäftigte und Studierende ein Thema sein könnte. Heute hat die Hochschule ein Servicebüro Familienbüro für Studierende, Nachteilsausgleiche, die Anwendung des Mutterschutzes auch für Studentinnen, ein Servicestelle Familienservice für alle Nicht-Studierenden und seit 2016 regelmäßig eine Auditierung zur familiengerechte Hochschule. Angebote der Ferienbetreuung und weitere Angebote sollen die Eltern unterstützen. Für die wissenschaftliche Weiterentwicklung haben wir schon frühzeitig Promotionsstellen für HAW-Absolventinnen entwickelt und angeboten und es gibt über die zwanzig Jahre eine gar nicht so kleine Zahl von Geförderten, die mittlerweile selbst Professorinnen an einer HAW geworden sind. Das ist ein großer Erfolg, für die Frauen, aber auch für unsere Unterstützungsstrukturen!
Wie ist die Situation an der Hochschule heute?
Die Mitglieder der verschiedenen (Fach-)bereiche aus der Hochschule haben sich deutlich angenähert, Austausch und Kooperation findet statt, auch kürzlich zur Frage, wer wohl die beste Hochschulleitung sein könnte. Aber die Zusammenschlüsse der früher eigenständigen Hochschulteile hat weiterhin Folgen. Die weite Entfernung der großen Hochschulstandorte bleibt bestehen, die – auch baulichen – Entwicklungen dauern gefühlt unendlich lange. Die große Diversität der Ausbildungsbereiche und damit der lehrenden Personen kann durch bestimmte Festlegungen der Strukturen teilweise immer noch nicht befriedigend ausgeglichen werden.
Die Frage nach Diversität
Heute stellt sich viel stärker die Frage nach Diversität und teilweise auch Identitätsempfindungen, alles verbunden mit den naheliegenden Fragen der Intersektionalität. Die Berliner Politik hat darauf reagiert und den Aufbau von Diversitätsstrukturen mit entsprechenden Gesetzen vorangetrieben. Unterstützt durch Aktive und Interessierte wurden erst grundlegende Strukturen, beauftragte Personen für Diversität, Koordination für Diversität, Beratungsstellen und Beschwerdemanagement im noch nicht gekannten Maße eingerichtet, auch mit einigem Geldeinsatz. Auch z.B. themenbezogene Einzelbeauftragungen wie der Antisemitismusbeauftragte, bei dem auch Fragen der intersektionalen Betroffenheit eintreffen, bieten die Notwendigkeit, viel vernetzer und mit mehr Absprachen zu agieren. Die Vielfalt der Aktiven und Interessierten bietet Möglichkeiten des gemeinsamen Arbeitens und Lernen sowie Fragestellungen, die alleine als nur Frauenbeauftragte nicht zu leisten wären. Es entstehen Chancen für bessere Unterstützungsstrukturen und Hilfestellungen. Das alles kostest aber auch viel Zeit und soll die Hochschule vielfältiger, gerechter, demokratisch besser ausgestaltet und partizipativer machen. Da bin ich gerne dabei!
Welches ist das nächste Etappenziel, das Sie sich vorgenommen haben?
Derzeit werden die Strukturen für die Promotionszentren für die Berliner Hochschulen für angewandte Wissenschaft umgesetzt. Meine langjährigen Erfahrungen der Nachwuchsförderung für weibliche Kräfte z.B. durch die Promotionsstipendien und Förderstellen probiere ich einzubringen, um die Strukturen gerade auch für Frauen (evtl. mit Familienverpflichtung) geeignet zu gestalten. Fehler und Abhängigkeit mit unangemessenen Folgen, die in Betreuungsverhältnissen an den Universitäten über Jahre entstanden sind, dürfen nicht an den HAWs unreflektiert wiederholt werden.
Weiterhin ist ein ständiges Ziel, einen ständig sehr hohen bzw. stabil hohen Frauenanteil bei den Führungskräften an der Hochschule zu haben und halten zu können. Der Frauenanteil bei den Verwaltungsleitungen entspricht dem Frauenanteil insgesamt in der Verwaltung, Technik und Service der HWR Berlin und ist damit anderen Berliner Verwaltungen überlegen.
Frauenanteil in der Lehre erhöhen
Der Frauenanteil in der Lehre, insbesondere bei den unbefristeten Professuren, muss wieder steigen. Auch wenn er im Vergleich mit vergleichbaren sowie auch Berliner Hochschulen hoch ist, kann sich bei dem Thema nie ausgeruht werden. Dabei hilft voraussichtlich die gerade erfolgte vierte Bewerbung beim Professorinnenprogramm 2030, das Frauen auf Erstberufungen fördert. Die ersten drei Programmteilnahmen in den vergangenen Jahren haben nur Erfolge (und Arbeit) gebracht. Erfreut bin ich über die Entwicklung des Fachbereichs Polizei und Sicherheitsmanagement, der mittlerweile eine sehr große Zunahme bei der Professorinnenquote vorzeigt, wobei ich reflektiere, dass meine Arbeit das unterstützt hat. Beim Thema Berufungsverfahren hilft es viel Erfahrung zu haben und diese geeignet und gezielt weitergeben zu können. Auch hier müssen die Strukturen noch qualitätsgesättigter und gerechter gestaltet werden und bias freie Entscheidungshilfen bereitgestellt werden und Akteur*innen geschult werden, gerade wenn das Berufungsrecht in absehbarer Seite von der Senatsverwaltung auf die Hochschulen in Berlin übergeben wird.
Die Hochschule geschlechtergerecht gestalten
Grundsätzlich geht es darum, die Hochschule geschlechtergerecht, aber auch sicherer zu gestalten und Sexismus, dem gerade auch Student*innen in ihrem besonders fragilen Status als zu bewertende Lernende ausgesetzt sind, nicht zuzulassen. Student*innen auch im Rollenbild zu unterstützen, so sie keinen Antifeminismus erleben müssen und sich entwickeln zu können. Sich an der Hochschule frei und aktiv bewegen zu können, ggf. Familienpflichten nachgehen zu können und Karriere zu machen. Dazu kann in meinem Verständnis die Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen in Ökonomie, Management, Verwaltung und Recht gehören. Mittelbar fördert jede Beschäftigung mit Genderaspekten die demokratische Bildung in unserer Gesellschaft: Frauenrechte sind Menschenrechte und die muss die Hochschule garantieren. Dazu arbeite ich kontinuierlich weiter, sehr gerne mit vielen Akteur*innen im Hochschulbereich.
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