Verfassungsrecht ganz praxisnah
Prof. Dr. Sabrina Schönrock wurde 2014 als erste Professorin einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften zur Verfassungsrichterin des Landes Berlin gewählt. Welche Erfahrungen hat sie gemacht?
Prof. Dr. Sabrina Schönrock wurde 2014 als erste Professorin einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) zur Verfassungsrichterin des Landes Berlin gewählt. Ihre Amtszeit endet demnächst. Das nehmen wir zum Anlass, die Professorin für Öffentliches Recht am Fachbereich 5 Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin zu ihren Erfahrungen zu befragen.
Können Sie sich kurz vorstellen?
Mein Name ist Sabrina Schönrock und ich bin Professorin für Öffentliches Recht hier an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Vorher war ich als Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin tätig. 2010 bin ich mit einer Gastprofessur für Öffentliches Recht an den Fachbereich 5 der HWR Berlin gekommen und im April 2013 dauerhaft feste Professorin für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Grund- und Menschenrechte und Besonderes Verwaltungsrecht geworden.
Von April 2016 bis Oktober 2021 war ich Dekanin des Fachbereichs, vorher auch Studiendekanin, davor Qualitätsbeauftragte. Ich engagiere mich also − seit ich an dieser Hochschule bin − in der Selbstverwaltung. Im Juli 2014 wurde ich zudem zur Verfassungsrichterin des Verfassungsgerichtshofes (VerfGH) des Landes Berlin gewählt. Diese Amtszeit wird ebenfalls demnächst enden. Es wird jedoch auch spannende neue Aufgaben danach geben.
Wie wurden Sie Verfassungsrichterin in Berlin?
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ist in der Verfassung von Berlin vorgesehen und das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof von Berlin gestaltet den Besetzungsprozess aus. Die Richter*innen werden vom Abgeordnetenhaus von Berlin mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt. Wir sind insgesamt neun Richter*innen, darunter derzeit eine Präsidentin und ein Vizepräsident, die jeweils gesondert gewählt werden.
Zudem gibt es insgesamt auch Quoten: Es müssen mindestens drei Frauen und mindestens drei Berufsrichter*innen vertreten sein. Die Wahl findet im Rahmen einer Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses statt und die Verfassungsrichter*innen des Landes Berlin werden für sieben Jahre (nicht wiederwählbar) gewählt.
Sie sind Professorin einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die in dieses Amt gewählt wurde. Was bedeutet das für die HWR Berlin?
Aus meiner Sicht ist das Richteramt ein Amt, das sehr ehrenvoll ist. Es ist das höchste Gericht im Land Berlin. Für die HWR Berlin ist es sicherlich wichtig, dass ihre Hochschullehrenden auch in bedeutenden Ehrenämtern vertreten sind.
Wie genau können wir uns Ihr Engagement beim Berliner Verfassungsgerichtshof vorstellen?
Wir sind neun Richter*innen und natürlich ist der Eingang der Fälle ein bisschen anders verteilt, weil das Präsidium auch noch Repräsentationspflichten hat. Bei den anderen Richter*innen gibt es eine Zuteilung der eingehenden Fälle nach dem Rotationsprinzip. Zusätzlich arbeiten drei wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Gerichtshof. Das sind zu uns abgeordnete Richter*innen, die in der Regel für eine Dauer von zwei Jahren, vielleicht auch mal länger, abgeordnet werden und uns bei der Arbeit unterstützen.
Da wir ein ehrenamtlich arbeitendes Gericht − also nicht hauptberuflich am VerfGH tätig sind − sind wir auf diese Mitarbeit angewiesen. Wir haben regelmäßige Sitzungen, einmal im Monat, und gegebenenfalls noch Eilsitzungen, die hinzukommen, wenn Fälle besonders eilig sind. Wir haben in der Regel über 200 Eingänge im Jahr. Im letzten Jahr hatten wir über 260 Eingänge. Das hängt auch mit der Corona-Pandemie zusammen. Über die Entscheidungsvorschläge wird vom Plenum gemeinsam beraten und entschieden.
Welche Fälle sind Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben und warum?
Im Jahr 2019 haben wir eine Entscheidung zur Neutralitätspflicht von Exekutivorganen getroffen. Diese ist in besonderer Weise in meiner Erinnerung, weil wir eine öffentliche mündliche Verhandlung hatten. In dem Fall ging es um die Frage, die zu entscheiden war, ob ein Tweet des regierenden Bürgermeisters, den er anlässlich eines Versammlungsgeschehens über den Regierungsaccount in die Öffentlichkeit gebracht hat, das Recht auf Chancengleichheit einer Partei verletzte. Das fand ich sehr interessant, weil es auch um die Stärkung der Demokratie ging. Deshalb ist mir der Fall natürlich in Erinnerung geblieben, obwohl es vielleicht nicht der emotional bewegendste Fall war.
Die meisten Entscheidungen treffen wir im nichtöffentlichen Plenum ohne mündliche Verhandlung. Mir sind natürlich noch einige andere Entscheidungen ganz gut in Erinnerung, die mich doch auch bewegen: familienrechtliche oder auch asylrechtliche Entscheidungen, die schon auch eine besondere rechtliche, aber auch emotionale Qualität haben. 2020 war natürlich stark geprägt von Fällen rund um Corona. Das war auch sehr spannend.
Inwiefern beeinflussen Ihre Erfahrungen beim Verfassungsgerichtshof Ihre Tätigkeit an der HWR Berlin?
Natürlich nutze ich die Erfahrung und die Fälle, die ich von dort kenne. Die meisten Sachentscheidungen sind veröffentlicht. Die Erfahrung fließt natürlich auch in die Lehre hier an der Hochschule ein. Zudem habe ich die Gelegenheit, mit den Studierenden das Kammergericht, in dem der Verfassungsgerichtshof seine Räumlichkeiten hat, zu besichtigen.
Was nehmen Sie für sich aus der Zeit als Verfassungsrichterin mit?
Ich bin erstmal sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, dort mitzuarbeiten. Noch bin ich ja auch dabei. Der Austausch mit den dortigen Kolleg*innen ist immer sehr sachlich, aber gleichzeitig auch kollegial freundschaftlich, stets konstruktiv. Ich habe andere Sichtweisen kennengelernt und mich auch fachlich inhaltlich „fortgebildet“.
Sie sind derzeit Professorin, Verfassungsrichterin und Sprecherin der Konferenz der Hochschulen und Fachbereiche der Polizei (HPK). Wie gelingt es Ihnen am besten, in Ihrer Freizeit Kraft für diese vielfältigen Tätigkeiten zu tanken?
Das Gute ist, dass mir das alles Spaß macht. Sonst würde ich es auch nicht tun. Ich war sechs Jahre Dekanin am Fachbereich 5, bin seit über sieben Jahren Verfassungsrichterin, HPK-Sprecherin bin ich auch seit ein paar Jahren – nun freue ich mich auch auf die Zeit, wieder „nur“ Professorin zu sein. Da alle „Amts- oder Funktionsübernahmen“ gewissermaßen freiwillig waren und auch nicht notwendig, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, spielt die Tatsache, dass mir diese interessanten und vielseitigen Aufgaben Freude machen, die größte Rolle.
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