Vom dualen Studium zur Promotion
Steven Schmidt hat seine akademische Karriere mit einer Promotion an der HWR Berlin erfolgreich abgeschlossen. Schon seinen Bachelor und Master hat er am Fachbereich Duales Studium absolviert.
Herr Schmidt, der Titel Ihrer Dissertation lautet: "Entwicklung eines generischen Requirements Engineering Frameworks für digitale Services unter Berücksichtigung der Rolle der Vertrauenswürdigkeit" - worum geht es? Können Sie Beispiele nennen, wo das Anwendung findet?
Steven Schmidt: Tatsächlich ist der Titel der Arbeit am besten mit dem dazugehörigen Praxisbeispiel vom Industriepartner erklärbar: Als Anbieter digitaler Services an Personenbahnhöfen ist die DB InfraGO daran interessiert, welche Anforderungen in welcher Art wirken. Das heißt, hiermit soll die Frage beantwortet werden, wie Anforderungen an digitale Services gemanaged werden können, und welche Rolle ein schwer greifbarer Aspekt wie Vertrauen dabei spielt.
Wie ist das Thema entstanden, wie sind Sie darauf gekommen?
Steven Schmidt: Das Thema ist bei Überlegungen bezüglich des Beispielservices WIFI@DB (öffentliches WLAN) entstanden. Als Projektleiter für Netzwerk-Sicherheit hatte ich gerade ein größeres Projekt an bundesweiten Bahnhöfen abgeschlossen und war im Zug nach Frankfurt am Main zum Projektabschluss. Auf der Zugfahrt habe ich das WLAN der DB genutzt und mich dabei gefragt, warum wir eigentlich unsere Infrastruktur sehr gut schützen, die Kundenseite aber kaum, da zum Beispiel das offene WLAN für die Nutzer*innen ungeschützt ist. Als ich das mit anderen Experten abends ausgetauscht hatte, sind Folgeüberlegungen entstanden: Warum ist der Schutz des WLANs für Kunden und Kundinnen keine Anforderung? Oder ist diese vielleicht einfach nicht bekannt? Existiert sie überhaupt?
Die darauffolgende bundesweite demographische Studie hat dann weitere Aufschlüsse geliefert - unter anderem auch, dass die Vertrauenswürdigkeit des WLANs eine große Rolle spielt und deutlich über technische Sicherheitsaspekte hinaus geht.
Eine Dissertation an einer Hochschule und dann noch im Dualen Studium ist ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Steven Schmidt: Nach einer sehr guten Beurteilung meiner Master Thesis im berufsbegleitenden Studiengang Prozess- und Projektmanagement hat mir mein Betreuer und jetziger Doktorvater Prof. Dr.-Ing. Andreas Schmietendorf empfohlen, weiter zu machen. Tatsächlich hatte ich diese Option schon seit dem Bachelor erträumt. So blieben wir in Kontakt und ich meldete mich wieder, als ich bei der Deutschen Bahn angefangen habe. Ich wurde angeworben und habe beim Bewerbungsgespräch einfach nach berufsintegrierten Promotionsmöglichkeiten gefragt, da ich ein solches Vorhaben nicht einfach irgendwie neben dem Job durchboxen wollte und konnte. Glücklicherweise bin ich dort auf meine sehr gute spätere Führungskraft gestoßen, die sehr freudig ein so genanntes Promotionsprogramm erläuterte. Als ich den Job dann anfing, konnte ich auf finanzielle, materielle und zeitliche Unterstützung und Kompensation seitens des Arbeitsgebers blicken.
Sie haben ihre gesamte akademische Laufbahn an der HWR Berlin verbracht. Was zeichnet die HWR Berlin Ihrer Meinung nach aus?
Steven Schmidt: Ich habe das duale Konzept durch den Bachelor Wirtschaftsinformatik lieben gelernt und dort, so wie im Master gute Erfahrungen gemacht, was das Verständnis der Hochschule für die industriellen Aspekte der Forschung und Lehre angeht. Das scheint an Universitäten ohne solch eine Ausrichtung durchaus abstrakter zu sein, wenn es um die Diskussion relevanter Themenfelder und Aspekte von Forschungsarbeiten und -ergebnissen geht.
Auch das Angebot des Promotionskollegs und der Austausch, sowohl dort als auch in der Forschungsgruppe, hat durch den praxisorientierten Antrieb aller Kollegen viele fruchtbare Ergebnisse für mich hervorgebracht.
Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Dissertation?
Steven Schmidt: Anders als eine Master Thesis ist eine Dissertation eher ein Marathon, als ein Sprint. Zu den größten Herausforderungen für mich persönlich zählte dabei zum einen die Geduld mit mir selber. In der Orientierungsphase gilt es, den eigenen Fokus und wissenschaftlichen Roten Faden zu finden. Man schwimmt eher in der Forschungsgruppe und den Projekten des Doktorvaters mit. Dabei dem eigenen Antrieb, nun endlich sein eigenes Thema gefunden zu haben und dazu auch Ergebnisse zu produzieren, etwas Zeit zu geben, Traktion zu finden, hat mich einige Mühe gekostet.
Auf der anderen Seite sind da natürlich die ganz offensichtlichen Herausforderungen wie Balance zwischen den übrigen Aufgaben im Job, Familie und Familienplanung, sowie allgemein auch Freizeit. Die 7-Tage-Wochen in den letzten Monaten werde ich nicht vergessen und auch nicht vermissen, auch wenn die tiefe wissenschaftliche Arbeit, für mich vor allem die empirische, schon toll war. Im Gegenzug musste ich meiner Partnerin nach geglückter Familienplanung (wir lernten uns im Projektmanagement Studium kennen, gelernt ist gelernt!) dann die Elternzeitplanung abnehmen, daher sind wir nun 3 Monate in Kanada, Neuseeland und den USA unterwegs.
Welche Strategien haben Sie gehabt, um die Herausforderungen zu meistern?
Zu den besten Strategien haben dabei für mich folgende Aspekte gezählt: Geduld mit sich selber zu haben und den Phasen auch ihre Zeit zugeben, sei es die Themenfindung, sei es das Finden des richtigen Betreuers. Das Schreiben an einem kniffligen Paper, die Verzweiflung, die richtige Primärquelle oder überhaupt Daten zu finden oder aber eben auch der formale Promotionsablauf: Schritt für Schritt einfach weitermachen und auf den nächsten Meilenstein schauen. Als zweites ist eine gute Selbstorganisation entscheidend, gerade beim dualen Charakter einer Industriepromotion: Welche Tasks stehen an? Wie kann ich diese einplanen und Umsetzen? Wann und wie finde ich Zeit und Ressourcen dafür? Wie finde ich Kraft dafür? Und ja: Wie schaffe ich es, mich dafür zu motivieren und diese nächste Hürde jetzt auch noch zu gehen?
Was würden Sie anderen empfehlen, würden Sie ermutigen oder eher davon abraten zu promovieren? Was wissen Sie jetzt, was Ihnen vorher nicht bewusst war?
Steven Schmidt: Meine größte Empfehlung an Interessierte wäre, sich über die eigenen Motive möglichst klar zu sein. Der Antrieb muss reichen, auch durch die schweren, aussichtslosen und trockenen Zeiten zu kommen, wenn einen nur das Thema, das Ergebnis oder eine Methode begeistert. Letztlich ist es auch eine Frage des Fleißes. Ich war eigentlich immer ein fauler Student, aber bei den Dingen, die mich wirklich interessierten, habe ich mich voll reingehangen! Dieses Gefühl braucht es, und zwar über eine deutlich längere Zeit. Allen Interessent*innen, die dieses Gefühl der Begeisterung und des Interesses kennen, würde ich eine Promotion empfehlen.
Was weiß ich jetzt, was ich vorher nicht wusste? Ja, frei nach Platon: Ich weiß jetzt, was ich alles nicht weiß. Und die aus dieser Erkenntnis entstehende Demut und Bodenständigkeit halte ich im angewandten industriellen Kontext für sehr wichtig und dementsprechend auch hoch!
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