Die HWR Berlin nimmt Abschied von Prof. Dr. Ulf Kadritzke
Ulf Kadritzke ist am 14.11.2020 völlig unerwartet verstorben. Er war von 1976 bis 2008 Professor für Industrie- und Betriebssoziologie an der FHW/HWR Berlin und ein Hochschullehrer mit Leib und Seele.
Er setzte vielfältige Akzente in Lehre und Forschung, insbesondere bei der Ausgestaltung des Studium Generale. In einem Artikel im Tagesspiegel beschreibt er seine Intentionen: „Der Bildungsanspruch an ein erneuertes Studium Generale ist nur auf den ersten Blick bescheiden. Er mahnt ein Studium an, das nicht nur ‚gesichertes Wissen‘ liefert, sondern auch zur Reflexion der beruflichen Praxis und der persönlichen Lebensführung ermutigt – und befähigt.“ In diesem Geist konzipierte und organisierte Ulf Kadritzke Seminare, aber auch öffentliche Diskussionsveranstaltungen, in denen er Themen aufgriff, die politisch und wissenschaftlich aktuell waren, um sie mit renommierten Sprecherinnen und Sprechern zu diskutieren, die ein breites Spektrum an Positionen vertraten, bei allen Kontroversen jedoch konstruktiv miteinander diskutieren konnten. So erlebten wir u.a. Veranstaltungen zum Bankensystem, zu Finanzkrise, Klimapolitik und TTIP, zur marktgerechten Demokratie oder zur Digitalisierung.
Ulf Kadritzke setzte sich energisch dafür ein, an Fachhochschulen den zeitlichen und finanziellen Raum für Forschung zu schaffen. Keine gute Lehre, keine gute Theorie, keine reflektierte Praxis ohne Forschung, das war eine seiner Maximen. Als vom Rektor Beauftragter für Forschung entwickelte er Rahmenbedingungen für die Forschung an der FHW wie partielle Freistellungen von der Lehre und Forschungssemester und er gründete die Publikationsreihe „FHW Forschung“.
Den Schwerpunkt von Ulf Kadritzkes eigenen Forschungen bildeten die Angestellten – jene in der Sozialstruktur und ihren sozialen und politischen Orientierungen so schwierig zu verortenden abhängig Beschäftigten, die sich in Qualifikation und Tätigkeiten gleichwohl von Arbeiterinnen und Arbeitern unterscheiden. „Angestellte – die geduldigen Arbeiter. Zur Soziologie und sozialen Bewegung der Angestellten“ lautete der Titel seiner großen, 1975 im Anschluss an die Dissertation veröffentlichten Studie. Auf eine Kooperation mit dem Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen geht sein zusammen mit Martin Baethge und Joachim Denkinger verfasstes Buch „Das Führungskräfte-Dilemma“ zurück, das den Widersprüchen zwischen betrieblichen Organisationsformen, Verhaltensanforderungen und aus dem sozialen Umfeld kommenden Normierungen nachspürt, in denen sich höhere Angestellte in Industriebetrieben befinden. Zuletzt setzte sich Ulf Kadritzke kritisch (und viel rezipiert) mit der verbreiteten begriffslosen Rede von „der Mitte“ der Gesellschaft auseinander. Er zeigt, dass die klassenanalytisch orientierte Angestelltenforschung der 1930er Jahre solchem oberflächlichen Denken weit überlegen war und auch heute noch richtungsweisend für eine „Arbeit am Begriff“ zum Verständnis der Gegenwart sein kann.
Ulf Kadritzke war natürlich in seiner gesamten Zeit an der FHW/HWR auch in den Gremien der Selbstverwaltung aktiv. Er war Mitglied im Akademischen Senat, im Kuratorium der HWR, externes Mitglied im Kuratorium der Humboldt-Universität, Fachgutachter und Vertrauensdozent bei der Hans-Böckler-Stiftung. In unzähligen Berufungskommissionen hat er an der Rekrutierung neuer Professorinnen und Professoren mitgewirkt. Die HWR Berlin hatte mit Ulf Kadritzke bis zuletzt einen kritischen und stets aktiven Hochschullehrer, der bei allen auch kontroversen Diskussionen konstruktiv und vorwärtsweisend war, eine Person mit viel Charme und Überzeugungskraft - er hat große Verdienste für diese Hochschule.
Die HWR Berlin ist Ulf Kadritzke für sein langjähriges akademisches Wirken in großer Dankbarkeit verbunden und wird ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
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