Bürokratie in Kunst übersetzt
Transparenz schafft Vertrauen. Ein Forschungsprojekt von HWR Berlin und BHT Berlin beleuchtet Behörden im wörtlichen und übertragenen Sinne neu. Zu sehen bei der Langen Nacht der Wissenschaften.
Zur Person
Prof. Dr. Marianne Egger de Campo ist Professorin für Soziologie am Fachbereich Allgemeine Verwaltung der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Die Initiatorin leitet das vom Institut für Angewandte Forschung (IFAF) Berlin geförderte kooperative Forschungsprojekts XICHT – und „eXperimentell Interaktive Chancen auf Transparenz der Verwaltung“.
Worum geht es bei dem Forschungsprojekt?
XICHT setzt sich mit der Frage auseinander, wie die öffentliche Verwaltung ihre Arbeit und ihre Entscheidungsprozesse der Öffentlichkeit verständlich vermitteln kann. Die Ergebnisse sind für Politik und Verwaltung, also die Exekutive des Staates, ebenso relevant, wie für die Gesellschaft als Ganzes, also alle Bürger und Bürgerinnen, einschließlich wichtiger Akteure und Akteurinnen der Öffentlichkeit, der Medien, von Nichtregierungsorganisation (NGO) und anderen Verbänden der Zivilgesellschaft. Schließlich bringt uns Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen XICHT Einblicke in Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kommunikation von komplexen Vorgängen in Organisationen.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Wir wollen ausloten, wie wir mit unkonventionellen Mitteln der Kunst eine Kommunikationsebene zu Bürgern und Bürgerinnen herstellen können und zwar so, dass sehr komplexe – aber auch sehr bedeutende – Angelegenheiten verständlich werden. Dabei muss man gegebenenfalls auf manches Detail verzichten, aber in der Interaktion mit den nicht sachverständigen Laien immer wieder Wege finden, wie man symbolisch und mit künstlerisch aufbereiteten Szenarien ein Verständnis herstellt, das geeignet ist, das Vertrauen der Menschen in die öffentliche Verwaltung, in den Staat zu festigen. Unser Projekt ist klar experimentell ausgerichtet. Wir sind sehr gespannt, wie gut und ob es uns gelingen wird, einen komplizierten umfassenden Vorgang so in Kunst zu übersetzen, dass er zumindest intuitiv erfasst werden kann.
Wie würden Sie diese abstrakte Erklärung bildlich fassen?
Im Idealfall erreichen wir das, was eine gelungene Inszenierung in der Oper schafft: Die oft recht verwickelten und komplexen künstlerischen Inhalte der Handlung und der Musik erschließen sich uns als Zuschauer und Zuschauerinnen oft weder aus dem Libretto, noch aus der Partitur. Sie werden deshalb durch ein Bühnenbild, Kostüme und Regie so in Szene gesetzt, dass wir uns mit ihnen identifizieren können, die Geschichte verstehen, die Charaktere in ihrer Widersprüchlichkeit erfassen und die Vorstellung mit dem Gefühl verlassen, dass wir verstanden haben, worum es hier eigentlich geht. Also, welche wirklich großen Themen der Menschheit behandelt worden sind. Deshalb arbeiten wir bei unserem Projekt mit der Professorin für Szenografie und Theaterbau Prof. Dr.-Ing. Bri Newesely von der Berliner Hochschule für Technik (BHT) zusammen.
Welche Rolle spielte die oft kritisierte sogenannte Behördensprache bei der Idee zu diesem Experiment?
Das war der Ausgangspunkt. XICHT reagiert auf die Unzufriedenheit der Bürger und Bürgerinnen mit der oft unverständlichen Sprache von Behörden. Der Anspruch, dass wir als Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, Wähler und Wählerinnen auch wissen wollen, was in unserem Namen gemacht wird, ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen – wie neben anderen der politische Theoretiker Pierre Rosanvallon immer wieder feststellte. Aktuelles Beispiel: Nicht nur die öffentlich und lautstark auftretenden Skeptiker und Skeptikerinnen, die an der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zweifeln, zeigen, dass ihr Vertrauen in den Staat und in die Wissenschaft täglich neu errungen werden muss. Rationale Erklärungen und detailreiche Informationen dringen nur bedingt durch, stoßen klar an Grenzen. Man muss aber mit allen Mitteln versuchen, Verständnis bei allen Bürgern und Bürgerinnen herzustellen und sie über das Wirken ihres Staates aufzuklären.
Was genau erforschen Sie und weshalb?
Spezieller Fokus liegt auf zwei Ankerprojekten der beiden Praxispartner dieses Forschungsprojekts: Im Bezirksamt Mitte von Berlin ist die zentrale Vergabestelle angesiedelt. Hier werden in standardisierten, rechtlich normierten und sehr komplexen Prozessen öffentliche Gelder für Aufträge an Unternehmen vergeben. Diese Leistungen erbringt die Behörde für die Berliner und Berlinerinnen. Um ein Beispiel zu nennen, ein Anbieter für das Schulessen in allen Berliner Schulen wird unter Vertrag genommen. Solche Aufträge umfassen nicht selten mehrstellige Millionenbeträge. Dabei wird nach einem der wichtigsten haushaltsrechtlichen Prinzipien, dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, vorgegangen. Gemäß Transparenzgrundsatz ist die Vergabe allgemein bekannt zu machen, sowohl für die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, als auch für die anbietenden Unternehmen. Es geht darum, in einem fairen Wettbewerb das beste und günstigste Angebot zu finden, und zwar im Interesse der Bürger und Bürgerinnen.
In Potsdam sucht die Stadt selbst den Dialog mit ihren Einwohnern und Einwohnerinnen, indem sie im Rahmen eines Bürgerhaushaltes die Entscheidungen über öffentliche Ausgaben offenlegt und die interessierte Bürger*innenschaft auch bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen lässt, welche Projekte gefördert werden sollen. Hier geht also die Kommune aktiv auf die Bürger und Bürgerinnen zu, um ihr Wirken transparent zu machen.
Welche Expertise bringen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der HWR Berlin ein?
Die HWR Berlin hat mit dem Fachbereich Allgemeine Verwaltung das theoretische Wissen über Entscheidungsgrundlagen und Prozesse der staatlichen Bürokratie und bildet in Kooperation mit Behörden die künftigen Verwaltungsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen aus, ist daher also auch gut in der Praxis der Verwaltung verankert. Die Professoren und Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die von Seiten der HWR Berlin am Projekt XICHT mitwirken, repräsentieren drei der wichtigsten Disziplinen, wenn es um Transparenz in der Verwaltung geht: Soziologie, Rechtswissenschaften und öffentliche Finanzwirtschaft.
Was macht dieses Forschungsprojekt so einzigartig?
XICHT ist als experimentelles Forschungsprojekt nicht nur auf die wissenschaftlichen Methoden zur Erweiterung des Wissens beschränkt, das unsere Fachkollegen und -kolleginnen der Rechtswissenschaften, der Soziologie und der öffentlichen Finanzwirtschaft oder auch anderer Disziplinen wie der Politikwissenschaft interessiert. Wir bemühen uns in Kooperation mit den künstlerisch versierten Partnern, also der Szenografie und algorithmischen Kunstformen, das Wissen der Künste zu erschließen. Die Kunst spielt hier eine klare Hauptrolle und inspiriert uns Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen immer wieder, neu über unseren Gegenstand nachzudenken. Wir lernen ungemein viel voneinander. Die Wissenschaft hilft uns zu erklären, was wir rational verstehen können, und die Kunst vermittelt uns ein Verständnis von all dem, was wir nicht wissenschaftlich erklären können.
Frau Prof. Egger de Campo, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).
Veranstaltungshinweis
Am 2. Juli 2022 veranstaltet das Projekt XICHT ab 17 Uhr vor dem Rathaus Tiergarten eine Intervention. Die dazugehörige Ausstellung ist vom 3. Juli bis 9. Juli 2022 im Rathaus zu sehen. Gleichzeitig wird in der Berliner Hochschule für Technik zur Langen Nacht der Wissenschaften am 2. Juli 2022 eine Ausstellung mit Projektergebnissen gezeigt.
Mehr zum Forschungsprojekt XICHT:
https://www.ifaf-berlin.de/ergebnisse/projekt-xicht-bei-der-langen-nacht-der-wissenschaften/
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