Neuigkeit | Semestereröffnung

Werden die Fachhochschulen ihrem Auftrag gerecht?

Zur Eröffnung des Wintersemesters veranstaltete die HWR Berlin am 18. Oktober ein Streitgespräch zum Thema „Bildung, Innovation, Kommunikation: Werden die Fachhochschulen ihrem Auftrag gerecht?“

22.10.2018

Das Ergebnis: eine äußerst spannende, teils kontroverse Debatte mit Vertreterinnen und Vertretern aus Fachhochschulen, Schulen, Politik und Wirtschaft. Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse: Die Alte Bibliothek war bis auf den letzten Platz gefüllt, anwesend waren neben zahlreichen Studierenden unter anderem Professor/innen, Dozent/innen und Mitarbeiter/innen der HWR Berlin, die Dekane der Fachbereiche, Mitglieder des Kuratoriums sowie Vertreter/innen anderer Hochschulen.

Jan-Martin Wiarda, der als Wissenschafts- und Bildungsjournalist das Streitgespräch moderierte, lud gleich zu Beginn die Studierenden dazu ein, sich an der Diskussion zu beteiligen – ein Platz auf dem Podium war eigens für spontane Wortmeldungen reserviert. Mehr als 3.300 junge Menschen starten im Wintersemester 2018/19 ihr Studium an der HWR Berlin – „ein neuer Rekord“, wie der Präsident der Hochschule Prof. Andreas Zaby in seiner Begrüßungsansprache hervorhob. Zaby erinnerte daran, dass Studierende an der HWR Berlin gleichermaßen gefördert wie gefordert würden und appellierte an die jungen Menschen, sich einzumischen: „Machen Sie mit, und Sie werden in den Gremien Gehör finden.“

Die Podiumsgäste brachten unterschiedliche Perspektiven auf die deutsche und internationale Fachhochschullandschaft mit. Was eine gute Fachhochschule für sie ausmache – über diese Frage musste Dr. Ina Czyborra nicht lange nachdenken: „Ein Studienangebot, das sich stark am Arbeitsmarkt orientiert, Veränderungen aufgreift und schnell auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann.“ Als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD und unter anderem Mitglied in den Ausschüssen für Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft überblickt Czyborra eine ganze Reihe an unterschiedlichen Themenfeldern. Im Hinblick auf den Investitionsbedarf erinnerte sie daran, dass zwar vergleichsweise viel Geld in die Bildung gesteckt werde, gab jedoch zu bedenken, dass es stets eine Konkurrenz zu anderen Politikfeldern gebe. Die Studierenden sollten daher versuchen, sich stärker und selbstbewusster für ihre Belange einzusetzen.

Eine echte Alternative zur Universität

Dass der Bildungsauftrag von Fachhochschulen weit über die reine Vermittlung von Wissen hinausgehe, stellte die Vizepräsidentin der HWR Prof. Susanne Meyer klar: „Eine gute Fachhochschule macht für mich aus, dass wir kritisch denkende Menschen schaffen, die eine eigene Position beziehen.“ Eine Fachhochschule habe einen anderen Auftrag als eine Universität: „Ich habe die Sorge, dass davon ausgegangen wird, dass Fachhochschulen schneller, billiger und mehr Studierende ausbilden als die Universitäten, wo die wahren Schlauen studieren – das ist nicht richtig.“ Es müsse ersichtlich werden, dass eine Fachhochschule eine echte Alternative zur Universität darstelle. Praxisorientierung bedeute nicht nur, dass Menschen instrumentell für die Praxis ausgebildet werden, sondern auch, dass sie Fragestellungen und Lernansätze aus der Praxis erhalten. „Wenn Sie mit einer Gruppe Wirtschaftsjuristen ins Gründungszentrum der HWR Berlin gehen, um die Fragen der Gründerinnen und Gründer beantworten zu lassen, ist das etwas anderes als beispielsweise eine frontale Lehrveranstaltung über E-Commerce.“

Zum Thema Innovationsfähigkeit äußerte sich Dr. André Emmermacher, Head of Human Resources bei Siemens: „Eine Fachhochschule ist dann innovativ, wenn sie Trends voraussieht, immer der Zeit ein Stück voraus ist statt hinterherzuhinken – und wenn sie außerdem in der Lage ist, sich selbst infrage zu stellen.“ Auf dem Podium saß auch Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner. Nicht ohne Ironie erinnerte er sich an seine eigene Studienzeit in den achtziger Jahren und die damals knappen Ressourcen an den Universitäten. Not könne, so Turner, durchaus erfinderisch machen und zu mehr Improvisationsfähigkeit führen. Dr. Ina Czyborra vertrat dagegen die Ansicht, dass die Umsetzung innovativer Projekte letztendlich nur dann funktioniere, wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stünden. Während  einer Australienreise gemeinsam mit Michael Müller, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, sei dies offensichtlich geworden: „Wir haben atemberaubende Dinge gesehen: den dortigen Universitäten steht deutlich mehr Geld zur Verfügung als den deutschen Hochschulen und man sieht, was man mit einer entsprechend tollen Ausstattung alles machen kann.“

Als positives Beispiel für innovative Forschung an der HWR Berlin nannte Czyborra das Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung: „In einer Zeit, in der in Ungarn die Geschlechterforschung verboten wird, finde ich es toll, dass wir dieses Institut haben und dass über Wirtschaftswissenschaften auch anders nachgedacht wird.“ Innovation sei das Ergebnis einer Mischung aus Vielfalt, Kommunikation und unterschiedlichen Denkweisen. Für Frauke Lührs, die im dritten Semester International Business Management studiert, tragen vor allem die Lehrenden zur Innovationsfähigkeit von Bildungseinrichtungen bei: „Wir haben wirklich gute Lehrbeauftragte, die ihre exzellente Praxiserfahrung eins zu eins an uns weitergeben.“ Der Professorentitel allein mache aus ihrer Sicht noch nicht zwangsläufig einen guten Dozenten oder eine gute Dozentin aus.                       

Zeit, Kreativität, Engagement

Auch über den entscheidenden Aspekt der Kommunikation wurde ausführlich diskutiert –  sowohl über Außenkommunikation im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit, vor allem aber über Kommunikation zwischen Fachhochschulen, Schulen und Unternehmen. Prof. Susanne Meyer gab zu bedenken, dass in diesem Bereich durchaus noch größere Anstrengungen unternommen werden müssten, etwa bei der Kommunikation von Forschungsergebnissen. Gleichzeitig sei an der HWR Berlin bereits einiges auf den Weg gebracht worden: „Wir wissen, dass wir im Wettbewerb mit anderen Hochschulen stehen, daher passiert in diesem Bereich sehr viel, beispielsweise das Schnupperstudium, das Schülerinnen und Schülern einen Einblick ins Studium und den Hochschulalltag ermöglicht.“ Als Leiterin der Heinz-Brandt-Oberschule in Berlin-Weissensee berichtete Miriam Pech über erfolgreiche Vernetzungsarbeit und Austausch mit den Hochschulen. Die Kontaktaufnahme gestalte sich einfach – vorausgesetzt, man habe Zeit und bringe Kreativität und Engagement mit: „Vor einigen Tagen fand unsere schuleigene Praktikums- und Ausbildungsbörse statt, auf der 25 Unternehmerinnen und Unternehmer sowie als enger Kooperationspartner der Wirtschaftskreis Berlin-Pankow vertreten waren, um Studien- und Berufsorientierung für unsere Schülerinnen und Schüler zu organisieren.“