Risiken und Nebenwirkungen des Mindestlohns
Gerhard-Fürst-Preis 2017 des Statistischen Bundesamtes
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland im Januar 2015 war die bedeutendste Arbeitsmarktreform der vergangenen Dekade und gleichzeitig ein absolutes Novum im bundesdeutschen Lohnverhandlungssystem. Nicht nur Ökonom/innen sahen in dem sozialpolitischen Experiment erhebliches Potential für Beschäftigungsverluste. Marcel Stechert von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin hat nun eine erste statistisch untermauerte Bestandsaufnahme vorgelegt. Dafür erhielt er im November 2017 einen Förderpreis des Statistischen Bundesamtes.
Ergebnisse einer umfassenden Evaluation durch die Mindestlohnkommission sind nicht vor 2020 zu erwarten. Marcel Stechert von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin hat das Arbeitsmarktmodell, das seit drei Jahren in Deutschland angewendet wird, jetzt schon einmal genauer unter die Lupe genommen. In einer kritischen Analyse untersucht der Autor erstmals anhand amtlicher Beschäftigungsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit Effekte des Mindestlohns und greift damit die schon im Vorfeld zum Teil sehr kontrovers und öffentlich geführte wirtschaftspolitische Diskussion um dessen Einführung auf.
Stechert belegt in seiner Bachelorarbeit, dass Arbeitnehmer/innen ab 25 Jahren vom Mindestlohnmodell durchaus profitieren. Die Kehrseite der Medaille ist, dass jüngere Beschäftigte klar zur Risikogruppe dieser Entwicklung zählen. Für sie lasse sich in der Gegenüberstellung von Beschäftigungswachstum und Mindestlohn ausschließlich ein negativer Zusammenhang nachweisen. Diese Ergebnisse findet Stechert bestätigt in internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen zu vergleichbaren Ansätzen der Lohn- und Gehaltsstruktur. In der deutschen Forschungsliteratur kommen Jugendliche und andere Risikogruppen im Zusammenhang mit dem Thema Mindestlohns bis dato kaum vor.
Als Ursache für die negativen Beschäftigungseffekte unter den 15- bis 24-Jährigen identifiziert der Autor deren vergleichsweise niedrige Produktivität. Die Auswirkungen zeigen sich besonders deutlich, wenn viele Menschen auf niedrigem Niveau entlohnt werden. Der Abstand zwischen Mindestlohn und Durchschnittslohn greift intensiv in die allgemeine Lohnverteilung ein.
Der Absolvent des Bachelorstudiengangs Economics an der HWR Berlin stellt auch heraus, dass die Wachstumsraten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auch nach Einführung des Mindestlohns außerordentlich positiv sind, wobei diese Entwicklung in Ostdeutschland verhaltener ausfällt. Für geringfügig Beschäftigte und Minijobber/innen hatte sich dieser Aufwärtstrend zwar schon vorher verlangsamt, brach mit der Tarifreform jedoch nochmals erheblich ein. Dieser gravierende Rückgang war in Ostdeutschland, aufgrund des geringeren Lohnniveaus ohnehin überdurchschnittlich vom Mindestlohn betroffen, besonders ausgeprägt.
„Die Forschung zu den Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung in Deutschland steht noch ganz am Anfang. Marcel Stechert hat mit seiner Abschlussarbeit einen fundierten, empirisch äußerst anspruchsvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion geleistet“, lobt Prof. Dr. Beate Jochimsen, die gemeinsam mit Prof. Dr. Tim Lohse die Bachelorarbeit an der HWR Berlin betreute. „Das ist ein gelungenes Beispiel für die Verknüpfung von gelerntem volkswirtschaftlichem Wissen und der wirtschaftspolitischen Praxis“, so die Professorin für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Finanzwissenschaft.
Der Preisträger in der Kategorie "Bachelor-/Masterarbeiten" im Rahmen des Gerhard-Fürst-Preises 2017 studiert inzwischen an der Freien Universität Berlin im Masterstudiengang Economics. In den vergangenen Monaten absolvierte Marcel Stechert ein Praktikum beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Bereich Konjunktur und Wachstum und derzeit eines bei der Deutschen Bundesbank im Research Centre in Frankfurt am Main. Im Januar 2018 schließt sich ein Auslandssemester an der Universität Carlos III in Madrid an.
Ein Artikel über Stecherts Evaluation zum Mindestlohn wird im kommenden Jahr in der Fachzeitschrift "Wirtschaft und Statistik" des Statistischen Bundesamtes veröffentlicht. Auch in einem aktuellen Diskussionspapier vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wurde die Abschlussarbeit zitiert und diskutiert.