No Angels – jedenfalls nicht genug
Frauen haben es oft schwerer als Männer, ihre Gründungsidee zu finanzieren. Sandra Thumm vom Startup Incubator Berlin spricht im Interview über Frauenpower im Investment und weibliche Business Angels.
Zur Person
Sandra Thumm ist Network- und Marketing Managerin am Startup Incubator Berlin (SIB Berlin), dem Gründungszentrum der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Sie organisiert Female-Empowerment-Veranstaltungen rund um Businesspläne und Finanzierung von Startups und bringt Frauen mit Gründungsideen und Vorbildunternehmerinnen zusammen. Darüber hinaus engagiert sich die ehemalige Gründerin des Portals schwangerinmeinerstadt.de für das Aktionsfeld Diversität der Berliner Startup Agenda 2022–2026 und hat in diesem Jahr die Projektleitung des EXIST Women Programms übernommen und ist Netzwerkverantwortliche für das Berliner Startup Stipendium Women.
Investieren Frauen anders in Startups als ihre männlichen Kollegen?
Durchaus, eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aus 2023 hat ergeben, dass weibliche Business Angels besonders darauf achten, dass Startups von weiblichen oder gemischten Teams geführt werden. Für ein Drittel der Befragten war mangelnde Diversität des Gründungsteams sogar ein Ausschlusskriterium bei der Entscheidung, ob sie in die Businessidee eines Startups investieren. Und es geht den Investorinnen stärker um den gesellschaftlichen Mehrwert eines Produktes oder einer Dienstleistung, nicht allein – aber natürlich auch – darum, dass am Ende die Rendite stimmt.
Frauenpower im Investment – was fehlt Investorinnen, um stärker in die Startup-Szene einzusteigen: Netzwerke, Wissen oder braucht es einfach mehr Mut?
Vielleicht gehen wir nochmal kurz einen Schritt zurück.
Business Angels sind nicht nur Investorinnen und Investoren, die ihr privates Geld in eine Idee oder ein Gründungsteam stecken. Sie unterstützen auch mit Wissen und Erfahrung und ganz oft und vor allem mit ihren Kontakten.
Einen Grund, weshalb Investorinnen unterrepräsentiert sind, sehe ich bei dem seit einigen Jahren stagnierenden, geringeren Frauenanteil in der Startup-Szene. Laut Deutschem Startup Monitor 2024 lag dieser bei lediglich 18,8 Prozent – und damit noch niedriger als in den Vorjahren. So verwundert es nicht, dass der Frauenanteil bei den Business Angels laut Studie nur 13,6 Prozent beträgt.
Die Finanzwelt ist männlich dominiert – ist das von Vor- oder Nachteil für Gründerinnen, wenn sie pitchen?
Die männliche Dominanz im Investmentbereich merken Gründerinnen, die auf der Suche nach Finanzierung für ihre Idee sind, durchaus. Rund 97 Prozent aller Venture Capitals – das sind Gesellschaften, die sich mit investiertem Geld an verschiedenen Start-Ups beteiligen – werden von Männern geführt. Und die wiederum investieren statistisch gesehen auch öfter in Männer. Die HWR Berlin hat vor vier Wochen eine Fachkonferenz zu Gender and FinTech Entrepreneurship ausgerichtet. Gründerinnen berichteten, dass in ihrer Erfahrung dahinter ein kulturelles Problem steckt. Menschen treffen Entscheidungen auf der Basis dessen, was sie kennen. Es braucht also mehr Gründerinnen und mehr Investorinnen, damit sich etwas ändert.
Wie wichtig sind Business Angels für Gründerinnen?
Gründungsinteressierte haben eine Idee – in der Regel aber nicht genug Geld, um sie weiterzuentwickeln und bis zur Marktreife zu bringen. An der Stelle komme ich noch einmal zurück auf die eingangs erwähnte Studie: Demnach bekommen zwei von drei Startups in Deutschland ihr Geld von Business Angels. Den Großteil der Investitionen kassieren nach wie vor Gründer – Gründerinnen erhalten laut Erhebung nur rund 5,3 Prozent der Deals und damit lediglich 0,9 Prozent des Risikokapitals. Deshalb ist es umso wichtiger, das Engagement vieler Business-Angel- Netzwerke wertzuschätzen, die viel Energie in mehr Diversität investieren. Die Tür zur Veränderung steht schon einen Spalt offen – jetzt gilt es, sie weiter zu öffnen.
Alles steht und fällt also mit der Anschubfinanzierung?
Unbedingt! Es gibt einen Gender-Gap beim Kapital. Im Female Founders Monitor 2022 ist nachzulesen, dass während die befragten weiblichen Gründungsteams im Schnitt bisher 1,1 Millionen Euro erhalten haben, liegt das Finanzierungsvolumen unter den Männer-Teams mit 9,7 Millionen Euro um das 9-Fache höher. Mehr als vier von fünf Frauen identifizieren dabei ein strukturelles Problem und stimmen der Aussage zu, dass Gründerinnen bei Investmententscheidungen kritischer hinterfragt werden als Gründer. Zudem sind deutlich weniger Frauen als Business Angel aktiv.
Nur 6 Prozent der Gründerinnen investieren selbst in Startups, bei den Männern sind es 16 Prozent.
Werden Projekte von Gründerinnen bei Investmententscheidungen strenger unter die Lupe genommen als die von Männern?
Ja, häufig sogar von Frauen selbst. Frauen bewerten andere Frauen kritischer, bringen sich oft gegenseitig nicht so voran wie Männer sich untereinander. Studien belegen das.
Konkurrenz unter Frauen zu ihren Ungunsten ist ein weit verbreitetes Phänomen und gleichzeitig ein Tabuthema. Hier müssen wir Frauen beginnen umzudenken, das Prinzip der Netzwerk-Solidarisierung adaptieren.
Es geht um Gleichberechtigung in alle Richtungen. Wir müssen den Wandel hin zu einer diversen Arbeitswelt mitgestalten, indem wir alle voneinander lernen dürfen, uns gegenseitig unterstützen. Ehrlich gemeinte Frauennetzwerke sind dabei sehr relevant.
Das Problem ist erkannt, eine Lösung in Sicht?
Auch hier schaue ich optimistisch in die Zukunft. Akteure und Akteurinnen im Startup-Ökosystem gehen die Themen Gender Gap in all seinen Facetten und in den Netzwerken sehr engagiert an. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Akademien für Female Business Angels und Female-Investors-Netzwerke, die Gründerinnen gezielt ansprechen können. Außerdem sind andere Investors Networks ausreichend sensibilisiert, so dass sie grundsätzlich nur gemischte Jurys entscheiden lassen. Dies ist aus meiner Sicht der Schlüssel: die Mischung von Akteuren und Akteurinnen. Das ist das Ziel aller Initiativen.
Wie können wir besser zeigen, dass im Investment von Frauen für Frauen eine echte Wirtschaftskraft entsteht?
Um es auf den Punkt zu bringen: durch Sichtbarkeit. Dazu zählen Role Model Formate, Initiativen wie FRAUENunternehmen und auch Kampagnen wie #ONEMILLIONWOMEN! Darüber hinaus zeigen die etablierten Frauenförderinstrumente wie EXIST Women und das Berliner Startup Stipendium Women große Erfolge – und sie erfreuen sich einer hohen Nachfrage. Auf 8 Stipendienplätze bewerben sich bis zu 200 Frauen und mehr. Da steckt die Wirtschaftskraft der Zukunft. Es sollten mehr Stipendienplätze geschaffen werden, um diese Gründerinnen erfolgreich an den Markt zu bringen. Frauen wollen Netzwerke aufbauen und nutzen. Man spürt den anstehenden Wandel bereits im Startup Ökosystem.
Sie haben selbst gegründet. Wer oder was hat Ihnen am Start finanziell geholfen?
Meine Gründung liegt schon 12 Jahre zurück. Das großartige Startup-Ökosystem, das sich seitdem in Berlin etabliert hat, hätte ich mir damals gewünscht. Das Berliner Startup Stipendium zum Beispiel unterstützt ideal beim Gründen. Heute muss man nicht solche Existenzängste haben wie früher, es gibt hervorragende Förderprogramme. Ich hätte in meiner Gründungsphase gern mehr über Angel Investments gewusst und wie man einen Exit plant. Das alles kann man heute in einem Gründungszentrum lernen, erhält professionelles Coaching und Mentoren und Mentorinnen an die Seite – wenn man möchte. Das inzwischen allgegenwärtige Netzwerkmanagement hätte mir auch enorm weitergeholfen. Ich habe bereits nach der Lean Startup Methode gegründet, die wir im SIB lehren. Wir sind sehr zügig an den Markt gegangen, um erste Umsätze zu erzielen.
Wenn Sie Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen zu gründen, nur einen Tipp geben könnten, welcher wäre das?
Gründer*innen sollten viel Arbeit in ihr Netzwerk investieren – und das nicht nur nach Sympathie, auch mit einer Strategie.
Stellt euch die Frage: Wen möchtet ihr kennenlernen und warum? Business Angels oder Professor*innen sind auch sehr gute Mentor*innen. Manchmal ist Knowhow viel wertvoller als ein Investment.
Wie unterstützt der Startup Incubator Berlin Gründungsinteressierte und hier besonders Frauen und weshalb?
Ich arbeite seit einigen Jahren am Thema Female Empowerment, unterstützt durch die Leitung des HWR-Gründungszentrums – die Entwicklung ist beeindruckend. Wir haben ein starkes Netzwerk, intrinsische Motivation und bieten frauenspezifische Formate an wie Role Model Talks, weibliche Expertinnen zu Gründungsthemen und Coachings. Im kommenden Frühjahr bieten wir wieder einen Female Lean Startup Sprint an, ein zweiwöchiges Programm rund um die Startup-Gründung, kostenfrei und inklusive Zertifizierung.
Seit diesem Jahr gibt es zwei Förderprogramme für Gründerinnen: das EXIST Women Programm und das Berliner Startup Stipendium Women. Wir sind sehr stolz darauf, einer der nur drei Träger in Berlin zu sein und als einzige Hochschule das Programm anbieten dürfen. Die Energie unter unseren Teilnehmerinnen ist beeindruckend, genauso wie ihr Ehrgeiz, Erfolg und ihr zielorientiertes Arbeiten.
Inwiefern spielt Community Building eine Rolle, um das Verhältnis zwischen Gründerinnen und Investorinnen in Berlin langfristig zu verändern?
Community Building ist das A und O. Das Startup Ökosystem ist in den letzten Jahren stark zusammengewachsen und wir arbeiten Träger-übergreifend und Hochschul-übergreifend zusammen, um die Bedürfnisse der Startups und der Wirtschaft abzuholen und die Gegebenheiten zu optimieren. Nur, wenn wir alle die gleichen Ziele verfolgen, wird die Wirtschaftskraft, die wir hervorbringen, erfolgreich sein.
Wie lässt sich das konkret umsetzen?
Ein perfektes Beispiel ist die FemaleCapital Initiative von Encourage Ventures e. V. von diesem Jahr.
Unternehmerinnen wurden zu Business Angels ausgebildet, um in Startups mit divers aufgestellten Teams zu investieren.
Die Abschlussveranstaltung dazu ist die FemaleCapital Pitch Night am 16. Dezember bei uns im Startup Incubator Berlin. Die Initiative wurde unter anderem in den Alumnae Netzwerken vieler Träger des Berliner Startup Stipendiums beworben.
Unternehmerinnen, die erfolgreich gegründet haben, sind die Investorinnen der Zukunft.
Wir hoffen, dass sich durch diese und weitere Kooperationen wie die mit dem Business Angel Club Berlin Brandenburg e. V. die Entwicklung im Incubator-Universum fortsetzt. Das Ziel: Von der Gründerin zur Unternehmerin zur Investorin.
Female Founders – weshalb brennen Sie für dieses Thema?
Weil wir auch heute noch immer keine Gleichstellung haben – sogar noch sehr weit davon entfernt sind. Es gibt zu viele Gaps, zu viel Gewalt, zu viele Benachteiligungen für Frauen. Unsere Wirtschaft braucht Frauen definitiv im Arbeitsmarkt, Stichwort Fachkräftemangel. Es bedarf dieser Frauenprogramme, so dass wir die Chance auf paritätische Verteilung ausbauen. Dafür setze ich all meine Energie ein, denn das ist das große Ziel beim Female Empowerment. Um das zu erreichen, braucht es natürlich auch Männer, die auf die Ungleichheit und Diskriminierung hinweisen, mithelfen gegenzusteuern und kräftig dabei unterstützen, eine Veränderung in der Gesellschaft herbeizuführen. Davon gibt es natürlich schon viele, aber es können gerne mehr sein.
Frau Thumm, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).
- Mehr über den Startup Incubator Berlin
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- Mehr über das Network for Teaching Entrepreneurship Deutschland (NFTE Deutschland)
Veranstaltungshinweis
- Was?
FemaleCapital Pitch Night
- Wann?
16. Dezember 2024, ab 18 Uhr
- Wo?
The Drivery (im Ullsteinhaus)
Mariendorfer Damm 1, 12099 Berlin