Soziologe, Kriminalautor und Grenzüberschreiter
Als engagierter Dozent hat der Soziologe und Autor Horst Bosetzky die Vorgängerhochschule der HWR Berlin wesentlich mitgeprägt. Am 16. September verstarb Bosetzky in Berlin.
Horst Bosetzky gehörte seit 1972 zum Aufbauteam der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin (FHVR Berlin), einer der Vorgängereinrichtungen der heutigen HWR Berlin. Er hat diese Hochschule in Lehre und Forschung wesentlich mitgestaltet, hat sie mit seiner Kreativität belebt und kritisch begleitet. Er hat vor problematischen Entwicklungen gewarnt („Eine Fachhochschule auf dem Weg zur totalen Institution“) und durch seine vielen Fachbeiträge den guten Ruf der Hochschule in seiner Scientific Community gestärkt.
Eine seiner Veröffentlichungen wurde durch die Aufnahme in den Sammelband „Sternstunden der Soziologie“ geehrt. Dabei hat Bosetzky es seinen Studierenden, Leserinnen und Lesern sowie Kolleginnen und Kollegen nicht immer leicht gemacht. Immer wieder hat er Grenzen überschritten: zwischen Wissenschaft und Literatur, zwischen Ernst und Satire, zwischen Beschreibung und Deutung, zwischen Realität und Fiktion, zwischen Resignation und Engagement. Er war immer preußisch korrekt, wenn es im Hochschulbetrieb um Abstimmung von Lehrinhalten, um Leistungsstandards, Termine, Klausurthemen und andere organisatorische Fragen ging. Er war kämpferisch und stets gut informiert bei hochschulpolitischen oder allgemeinpolitischen Auseinandersetzungen. Und er war konsequent, wenn er Freiräume für sein literarisches Werk benötigte.
Bei den Studierenden hat Bosetzky mit seinem Lehrstil hohe Aufmerksamkeit erreicht und seine Feedback-Werte waren beneidenswert gut. Die meisten Studierenden haben ihn geachtet und seinen liebevollen bis sarkastischen Humor geschätzt. Viele haben ihn als einen Verbündeten geliebt, der immer auf ihrer Seite stand und ihren eigenen Widerspruch zwischen Freiheitsanspruch in Studium und Lebensplanung einerseits und Anpassungsdruck im Beamtendasein andererseits verstand. Er hat den Studierenden ein fundiertes Fach- und Theoriewissen vermittelt (und den Prüflingen abverlangt).
In seinen Lehrveranstaltungen hat er aber auch durch eine bunte Vielfalt an Fallbeispielen aus seinen vielen Interessensbereichen die praktische Bedeutung einer guten Theorie demonstriert. Als „geborener Neuköllner“, früher aktiver Sportler (schnellster 100-Meter-Läufer Berlins 1956) und bleibender Fußballfan, ehemaliger Siemens-Lehrling und späterer Verwaltungssoziologe, passionierter S-Bahn-Fahrer, Wanderer entlang Brandenburger Seen (die er durch rituelles Handeintauchen „sammelte“) und schließlich als Kriminalautor stand ihm ein reichhaltiger Fundus an Anwendungsbeispielen zur Verfügung. Manchen Stichwörtern seiner Veröffentlichungen und insbesondere denen aus dem Umkreis der von ihm in Deutschland publik gemachten „Mikropolitik“ sieht man dieses Beispielsreservoir an: Funktionen von Betriebsausflügen, kameradschaftliche und idyllische Bürokratie, das Wegloben, die Dunkelfaktoren bei Beförderungen, Büro als Bühne, Don Corleone-Prinzip, Prinz von Homburg-Effekt, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wenn auch Verwaltungswissenschaft und -lehre auf der einen und Kriminalliteratur auf der anderen Seite dem ersten Blick als unvereinbare Topics erscheinen mögen: Bosetzky hat sie sehr fruchtbar miteinander verbunden – indem er in seinen Büchern gesellschaftliche Widersprüche zu Konflikten zwischen Täter- und Opferpersönlichkeiten konkretisiert. Diese Widersprüche werden wie belletristische Lehrbücher romanhaft aufbereitet. Auf der Verliererseite stehen bei ihm meistens „die da unten“, denen das Schicksal und die Gesellschaft sowie die Art, wie sie beiden begegnen, die Siegerrolle verwehrt haben. Bosetzky hat in seinen Romanen viele Themen aufgegriffen, die uns heute – oft mit neuen Wörtern „auf den Begriff gebracht“ – ganz aktuell erscheinen. So etwa Mobbing, Burnout, Plagiate oder Ausländerfeindlichkeit.
Horst Bosetzky war ein besonderer Mensch, ein besonderer Hochschullehrer und vielen ein guter Freund und Ratgeber, der im Ehrengestühl der Hochschule noch lange einen festen Platz einnehmen wird.
Prof. Dr. Peter Heinrich (ehemaliger Rektor der FHVR Berlin)