Die Spitze des Eisbergs - Sexuelle Grenzverletzungen
Beim Werkstattgespräch berichtete Claudia Puglisi über einen Fall sexueller Belästigung in der niedersächsischen Polizei und Andrea Fischbach gab einen Überblick zum wissenschaftlichen Kenntnisstand.
Das FÖPS-Werkstattgespräch am 7. November 2023 befasste sich mit „Sexualisierten Grenzverletzungen in der Polizei. Täterschutz statt Opferschutz in einer hochmoralischen Organisation?“. Wim Nettelnstroth, der die Veranstaltung moderierte, wies in seinen einleitenden Worten darauf hin, wie präsent das Thema sexueller Belästigungen auch im Polizeistudiengang der HWR Berlin ist: während seiner Zeit als Studiendekan habe er viel Zeit für die Klärung entsprechender Vorfälle aufbringen müssen – die nicht nur innerhalb der Polizei, sondern auch an der Hochschule passierten.
Wie sich solche Übergriffe aus Sicht einer Betroffenen (bzw. ihrer Vertrauensperson) darstellen, veranschaulichte der Vortrag von Claudia Puglisi. Sie gab einen Erfahrungsbericht über zwei Vorfälle, in denen ein damaliger Inspektionsleiter der Polizei in Wolfsburg einer Mitarbeiterin ein zweifelhaftes Angebot (zum „Hochschlafen“) unterbreitete bzw. eine andere Kollegin über längere Zeit massiv bedrängte. Sie schilderte, wie schwierig es für die beiden Frauen war, sich gegen diese Übergriffe zu wehren, von wie vielen Stellen innerhalb der Polizei sie im Stich gelassen wurden und auf wie viel Gegenwehr sie in der gesamten Organisationshierarchie stießen, nachdem sie die Vorfälle publik gemacht hatten. Die Folgen dieser Ausgrenzung bekam auch Claudia Puglisi zu spüren, die als Polizeidirektorin in der zentralen Polizeidirektion Niedersachsen tätig ist und der sich eine der Betroffenen anvertraut hatte.
Andrea Fischbach von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster ordnete die zuvor geschilderten Fälle in eine Reihe von Erkenntnissen über Ausmaß und Strukturen sexueller Belästigung in der Polizei ein. Die von ihr zitierten Zahlen – vorwiegend aus us-amerikanischen Studien – waren bedrückend: so berichteten 100% der befragten Polizistinnen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz im Verlauf ihrer Polizeikarriere, in einer anderen Untersuchung gaben 92% der Befragten an, mindestens einen derartigen Vorfall innerhalb des letzten Jahres erlebt zu haben. Diese Befunde sind vielfach bestätigt und keineswegs neu. Sie weisen vor allem darauf hin, dass es sich bei dieser Form der Belästigung um ein strukturelles Problem (nicht nur in der Polizei) handelt. Inzwischen könne als gesichert gelten, dass es dabei im Kern um eine Form der Verachtung gehe, die darauf ziele, „Menschen [und in der Regel: Frauen] herabzusetzen und zu vertreiben“. Das damit verbundene Klima der Einschüchterung lässt sich nach Ansicht von Frau Fischbach nur überwinden, wenn in der Polizei eine inklusive Kultur des Respekts geschaffen werde – für die vor allem Führungskräfte Verantwortung tragen.
Sie können hier die Vorträge des Werkstattgespräches anschauen:
Wim Nettelnstroth: Einleitung zum FÖPS-Werkstattgespräch „Sexualisierte Grenzverletzung in der Polizei“ vom 7.11.2023
Claudia Puglisi: „Führung als skandalpräventive Ressource“. Vortrag beim FÖPS-Werkstattgespräch vom 7.11.2023
Präsentation von Claudia Puglisi zum Download (PDF)
Andrea Fischbach: „Sexuelle Belästigung in der Polizei“. Vortrag beim FÖPS-Werkstattgespräch vom 7.11.2023