„Neue Dimensionen des internationalen Rechtsterrorismus“
Am 21./22. Oktober 2022 fand an der HWR Berlin die Tagung statt, die sich mit den verschiedenen Erscheinungsformen Rechtsterrorismus in Europa sowie neuen Entwicklungen in diesem Bereich befasste.
Die Tagung „Neue Dimensionen des internationalen Rechtsterrorismus“ gründete auf einem 2019 gleichnamig veröffentlichten „call for papers“, verantwortet durch das Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS) an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ziel sollte es sein, markante Erscheinungsformen der neuen und alten Dimensionen des Rechtsterrorismus in Europa und darüber hinaus abzubilden, relevante Facetten aufzugreifen und historische Entwicklungslinien nachzuzeichnen. Zwar wurde die Durchführung pandemiebedingt zwei Jahre verhindert, jedoch büßten die Beiträge nur wenig an Aktualität ein.
Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke eröffnete die Tagung mit einer Keynote und beschrieb darin aus seiner langjährigen Betrachtung des Phänomens heraus wesentliche Entwicklungen des Rechtsextremismus in Deutschland und darüber hinaus. Darunter fielen unter anderem politikwissenschaftliche, sicherheitsbehördliche, aber auch präventive Aspekte.
Das erste Panel eröffnete Michael Fürstenberg mit der möglichen Fortführung einer Theorie von David Rapoport, nach der die historische Entwicklung des internationalen Terrorismus seit 1880 in vier Wellen nachzuvollziehen sei. Rapoport sah eine sich jeweils überlappende Abfolge einer anarchistischen, einer anti-kolonialistischen, einer neuen linken und zuletzt einer religiösen Welle des Terrorismus. Fürstenberg zufolge gibt es Anzeichen dafür, dass die zuletzt erfolgte Welle des religiös geprägten internationalen Terrorismus von einer neuen Welle des Rechtsterrorismus abgelöst werden könnte. Diese Betrachtung sei jedoch eher zum Verständnis größerer Entwicklungslinien und nicht zur Voraussage von Ereignissen heranzuziehen.
Vincenz Leuschner plädierte im folgenden Beitrag dafür, demonstrative Attentate, beispielsweise school-shootings, nicht als Gegenpart zu terroristischen Attentaten, sondern verschränkt zu denken. Er beschrieb Überschneidungen beider Erscheinungsformen anhand von protopolitischen Zielen von Attentätern von school-shootings. Diese richteten sich in einigen Fällen nicht wahllos gegen Personen aus dem persönlichen Umfeld, sondern z.T. gegen Lehrer als Symbol für das Bildungssystem. Auch in der Debatte um die Einstufung des Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum sah er Anhaltspunkte für eine Überschneidung der Erscheinungsformen.
Fabian Virchow verglich Manifeste des rechten Terrorismus auf ihre politischen Botschaften, praktischen Anleitungen und avantgardistischen Ansprüche hin. Dafür codierte er 15 z.T. erheblich unterschiedliche Manifeste rechtsterroristischer Attentäter und stellte sowohl Unterschiede und Gemeinsamkeiten als auch Entwicklungen im zeitlichen Verlauf heraus. Diese bezogen sich z.B. auf die Biographie der Täter, aber auch auf Ideologeme und Strategien wie der Auswahl von Zielen. Zudem wurden gegenseitige Referenzen von Attentätern aufeinander verdeutlicht, was eine neuere Erscheinungsform darstellt.
Florian Hartleb verteidigte die These des „lone-wolves-terror“ im Kontext der neueren Entwicklung von Virtualisierung und Internationalisierung des rechten Terrors. Ihm zufolge ist trotz einer fortschreitenden, virtuellen und transnationalen Vernetzung rechter Terroristen nicht von einer Abkehr des lone-wolf-Tätertypus auszugehen. Zwar käme es zu einer stärkeren digitalen Vernetzung der Szene, jedoch widerspräche dies nicht typischen Merkmalen von lone-wolve-Attentätern. Online- wie Offline-Radikalisierungen fänden nicht in einem sozialen Vakuum statt und stellten insbesondere Sicherheitsbehörden und die Präventionsarbeit vor Herausforderungen.
Armin Langer von der University of Florida schloss den ersten Tag online zugeschaltet mit einer Betrachtung der Zusammenhänge von dogwhistle-Strategien und rechtsextremer Gewalt ab. Anhand des Beispiels von George-Soros-Verschwörungserzählungen zeichnete er internationale Verbreitungen antisemitischer dogwhistle-Propaganda nach und stellte sie dann in Zusammenhang mit der dadurch entfachten bzw. verstärkten extrem rechten Gewalt.
Robert Andreasch eröffnete den zweiten Tagungstag mit einem Input zu Romanen als rechtsterroristischen Anleitungen u.a. von „Das Merkel-Attentat“, dem zeitlich neuesten Beispiel einer Reihe fiktiver Beschreibungen rechtsterroristischer Strategien mit dem Ziel ihrer Verbreitung. Der Vorteil dieser Textart sei, dass in literarischen Texten erheblich weitergegangen werden könne als in politischen Sachbüchern, was sich rechtsterroristische Strukturen zunutze machten. Dies habe bereits historische Vorbilder mit den „Protokollen der Weisen von Zion“ oder Ernst Jüngers „Das abenteuerliche Herz“, die ebenso wie aktuellere Beispiele eine Art Kultstatus in der Szene hätten. In heutigen rechtsterroristischen Strukturen kursierten Leselisten zur ideologischen und strategischen Festigung der Akteure.
Maximilian Kreter gab anschließend einen Ein- und Überblick zu Finanzierungsmustern des Rechtsextremismus anhand des Beispiels von Rechtsrock und den damit verbundenen Geschäftsstrukturen. Demnach stellten Konzerte, aber auch Versandhandel und Labels eine wesentliche Finanzstrategie der extremen Rechten dar, die fortwährend professionalisiert werde. So stellten Rechtsrock-Strukturen und Gewerbe wie Sicherheitsfirmen, der Betrieb von Immobilien als Veranstaltungsorte usw. eine Möglichkeit zur Finanzierung von Vollzeitaktivisten und politischen Aktivitäten dar. Die Höhe der möglicherweise erzielten Gewinne ist nach Berechnungen Kreters abhängig von der Größe der Veranstaltungen, könne aber bis zu einer sechsstelligen Summe betragen.
Paul Schliefsteiner zeigte anhand des Briefbombenattentäters Franz Fuchs ein Beispiel für einen möglichen Vorläufer des modernen Rechtsterrorismus aus Österreich auf, der trotz seiner grenzüberschreitenden Anschläge vergleichsweise wenig bekannt ist. Dazu beschrieb er zunächst die von 1993-1996 währende Serie von Anschlägen mit Brief- und Rohrbomben, bei denen vier Menschen getötet und 14 körperlich schwer verletzt wurden. Diese wiederholten Anschläge als Strategie unterscheiden Fuchs zwar von heutigen Rechtsterroristen, die eher einzelne große Anschläge verüben, jedoch weist seine Person auch einige Überschneidungen auf. So nutzte er zeitgenössische Massenmedien um seine Bekennerschreiben zu verbreiten und zielte auf gesellschaftliche Minderheiten ab. Zudem handelte es sich, vergleichbar mit aktuelleren Fällen, um einen Einzelgänger mit einer psychischen Störung.
Maik Fielitz präsentierte eine gemeinsam mit Stephan Albrecht durchgeführte Analyse des Iron March Forums unter dem Titel „Iron March: Die digitale Schmiede des Rechtsterrorismus“. Diese basierte auf Daten der einschlägigen Plattform die geleakt worden waren. Dadurch wurden sowohl die Inhalte der Beiträge als auch die Informationen zu und damit die Struktur der Nutzer sichtbar, beispielsweise die geographische Verteilung. Fielitz zeigte anhand der Daten, dass das Forum zwar (angeblich) von einem russischen Neonazi gegründet wurde, die Ausrichtung jedoch transnational war mit Nutzern unter anderem in den USA und Europa. Aus dem 2017 vom Netz gegangenen Forum entstand unter anderem die Atomwaffendivision, deren Entwicklung und die Prozesse der Radikalisierung ihrer Mitglieder anhand der Forendaten ausgewertet werden konnten.
Darius Muschiol beschloss das letzte Panel mit einer historischen Betrachtung unter dem Titel „Weltweit Teutonic Unity: Internationale Netzwerke deutscher Rechtsterroristen in der alten Bundesrepublik“ und stellte die These auf, dass die Internationalisierung, bzw. Transnationalisierung des Rechtsterrorismus schon in den 1960er Jahren begann. Anhand von Motivlagen westdeutscher Rechtsterroristen zeigte er Kontinuitäten und internationale Vernetzungen mit Beispielen für Kommunikationsplattformen wie der „Information der HNG“ oder internationalen Aktivitäten verschiedener Akteure wie beispielsweise Odfried Hepp.
Das Abschlusspodium erörtere schließlich Perspektiven für die weitere Forschung zum Rechtsterrorismus mit Blick auf angrenzende Bereiche wie die pädagogische Prävention von extrem rechter Gewalt oder sicherheitsbehördlichen Ermittlungstätigkeiten. Insbesondere vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ergaben sich hier drängende Fragen, beispielsweise zum Umgang mit Desinformationskampagnen, aber auch dem illegalen Waffenhandel.
Seinen eingangs gesetzten Zielen, historische Entwicklungslinien nachzuzeichnen und prägnante Facetten heutiger Erscheinungsformen zu beschreiben konnte die Tagung auf vielfältige Weise gerecht werden. Dies ist vor allem mit Blick auf praktische Herausforderungen für Sicherheitsbehörden und Prävention relevant, da diese mit tagesaktuellen Entwicklungen, bspw. durch den Krieg in der Ukraine, konfrontiert sind. Hier kann wissenschaftliche Forschung nur selten kurzfristige Ergebnisse präsentieren, jedoch anhand der langfristigen Analyse von Strukturen und Akteuren wichtige Anhaltspunkte bieten. Für die zukünftige Forschung wurden zudem wichtige Themen identifiziert, wie den Auswirkungen von Deplatforming auf rechtsextreme und rechtsterroristische Akteure oder deren z.T. unterschiedliches ideologisches Framing des Ukraine-Kriegs.
Ein Großteil der Beiträge wird zusammen mit weiteren Beiträgen in einem Sammelband im Springer-Verlag erscheinen.
Über den Autor: Felix Lange hat Soziale Arbeit in Münster sowie Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft in Bochum studiert. Am Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS) in Berlin forscht er aktuell zu umstrittenen Fällen mutmaßlich rechter Tötungsdelikte in Thüringen. Letzte Publikation: Klassifikation von Todesopfern rechtsmotivierter Gewalt in Nordrhein-Westfalen. Analyse von Verdachtsfällen der Jahre 1992/93 (Frankfurt 2021).
Kontakt: felix.lange(at)hwr-berlin.de