Kein Schweigen der Zuschauerinnen und Zuschauer
Mahnruf des 5. Fachsymposiums zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, das unter dem Titel »Antisemitismus – Herausforderungen für Polizei, Sicherheitsakteure und Gesellschaft« stand.
Am 16. Dezember 2021 tauschten sich Akteurinnen, Akteure, Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Politik, Wissenschaft, Polizei und Zivilgesellschaft über die vielfältigen Herausforderungen des Antisemitismus für Staat und Gesellschaft aus, sowie über Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen. Die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe zu Sicherheitsthemen im Kontext von Terrorismus wurde zum fünften Mal von der der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport ausgerichtet. Wie im Jahr zuvor fand das Fachsymposium aufgrund der Corona-Pandemie digital statt.
Mehr als 200 Teilnehmende aus Deutschland und Europa
Professorin Dr. Sabrina Schönrock, die gemeinsam mit dem Staatssekretär für Inneres Torsten Akmann das Fachsymposium im Jahr 2017 ins Leben gerufen hatte, eröffnete die Online-Veranstaltung und begrüßte die drei Gastrednerinnen und -redner, die Podiumsrunde sowie die über 200 Teilnehmenden, die aus der Bundesrepublik und dem europäischen Ausland zugeschaltet waren. Auch das 5. Fachsymposium stand unter der Leitung von Prof. Dr. Sabrina Schönrock und Prof. Dr. Wim Nettelnstroth vom Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin.
Der Schutz jüdischen Lebens umfasse weitaus mehr als bauliche und personelle Maßnahmen. „Es bedarf vielfältiger Ansätze, die Sicherheit des jüdischen Lebens zu gewährleisten“, betonte Berlins Innensenator Andreas Geisel in seinem Grußwort. Neben dem kontinuierlichen Austausch mit der jüdischen Community sei auch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ein wichtiger Baustein zu mehr Sicherheit, so Geisel.
Antisemitismus hat viele Formen
Professor Dr. Andreas Zaby, Präsident der HWR Berlin, zeigte in seiner Begrüßungsansprache die verschiedenen Strömungen des Antisemitismus auf und machte die Vielgestaltigkeit dieses Phänomens deutlich. Die Bildungsarbeit habe daher den wichtigen Auftrag, jegliche Form von Antisemitismus zu bekämpfen. Die HWR Berlin sei sich ihrer Verantwortung bewusst, Studierende zu ;kritischem Denken und demokratischem Handeln zu befähigen. Beispielhaft nannte Zaby hier das Projekt „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart!“. Studierende des Bachelorstudiengangs gehobener Polizeivollzugsdienst erarbeiteten eine Ausstellung im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ und setzen darin ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit.
Fünf Säulen im Kampf gegen Antisemitismus
Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, ging in seinem Vortrag „Antisemitismus – ein vielgesichtiger Hass“ auf die fünf tragenden Säulen im Kampf gegen Antisemitismus ein. Dazu zählten Bildung, Prävention, die systematische Erfassung antisemitischer Vorfälle, Intervention und eine konsequente Strafverfolgung. Zudem sei Antisemitismus als solcher wahrzunehmen und von Rassismus abzugrenzen. „Es ist ein Problem, dass Antisemitismus landläufig immer noch nicht erkannt wird als solcher“, so Botmann.Zu oft würden judenfeindliche Straftaten nicht als solche gewertet und deswegen keine Strafverfahren eingeleitet.Um den Antisemitismus grundlegend und nachhaltig identifizieren und bekämpfen zu können, bedürfe es einer Arbeitsdefinition und entsprechender Fortbildungen für Mitarbeitende von Sicherheitsbehörden und Justiz.
EU fördert jüdisches Leben und Gedenken strategisch
Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, stellte die EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens (2021-2030) in ihrem gleichnamigen Impulsvortrag vor. Ein wesentlicherer Schwerpunkt der Strategie, die zusammen mit Vertretern und Vertreterinnen jüdischer Gemeinden entwickelt wurde, bilde der Blickrichtungswechsel weg von den Tätern und Täterinnen hin zu den Opfern.
Dass dieser Blick noch nicht geschärft sei, verdeutlichte die Referentin an einem Beispiel: Auf die Frage nach dem Namen des Täters vom Breitscheidplatz-Attentat vermutete von Schnurbein zahlreiche richtige Antworten unter den Zuhörenden. Aber wie sehe es mit der Kenntnis auch nur eines der Namen der mittlerweile 13 Opfer des Terroranschlags aus? Allein das Nennen der Namen der Opfer sei ein wichtiges Element im Rahmen der Aufarbeitung und finde im Shoah-Gedenken bereits auf vielfältige Weise Anwendung, erläuterte von Schnurbein.
Wichtig sei es zudem, innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Form des Gedenkens und Lehrens über die Shoah zu entwickeln, in der sie nicht aus dem Kontext gerissen, sondern in umfangreiches Wissen über die Bedeutung von Jahrhunderten jüdischen Lebens in Europa eingebettet werde. „Was die Opfer am meisten verletzt, ist nicht die Grausamkeit der Unterdrücker, sondern das Schweigen der Zuschauer.“ Mit diesem Zitat des Nobelpreisträgers Elie Wiesel schloss die Referentin ihren Vortrag.
Sich wandelnder Antisemitismus stellt Polizei vor Herausforderungen
Prof. Dr. Christoph Kopke, Professor für Politikwissenschaften und Zeitgeschichte und Dekan am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, sprach über die vielfältigen Herausforderungen von Antisemitismus für die Polizei Berlins. Er erläuterte die verschiedenen Formen des Antisemitismus und gab Beispiele für jüngste Vorkommnisse in Berlin. Dass Antisemitismus ständig im Wandel sei und sich neu konfiguriere, erschwere das Erkennen der unterschiedlichen Erscheinungsformen. Der Politikwissenschaftler ging in seinem Vortrag auch auf Verdachtsfälle innerhalb der Berliner Polizei ein. Hier herrsche eine erhöhte Sensibilität, derartige Fälle umfassend aufzuklären.
Er verwies auf das im Jahr 2020 veröffentlichte Berliner Konzept zur internen Vorbeugung und Bekämpfung von möglichen extremistischen Tendenzen im öffentlichen Dienst, das einen 11-Punkte-Plan und die Beauftragung einer unabhängigen Studie zur Beforschung von Wertehaltungen und Einstellungsmuster innerhalb der Polizei umfasst. Im Rahmen der Studie wird auch untersucht, welche Aufgabenfelder und Einsatzgebiete besonders anfällig für die Entwicklung extremistischer Tendenzen seien. Abschließend rief Kopke wie seine Vorrednerinnen und -redner dazu auf, die Betroffenenperspektive verstärkt zu berücksichtigen und die demokratische Resilienz zu stärken.
Podiumsdiskussion zum antisemitischen Anschlag von Halle
Nach einer kurzen Pause eröffnete Prof. Dr. Wim Nettelnstroth, Professor für Psychologie und Führungslehre an der HWR Berlin, die Podiumsdiskussion. Als Moderator führte er zunächst in das Thema des Podiumsgesprächs „Der Anschlag in Halle – Aufarbeitung eines Terroranschlages“ ein, zeigte Prävention von Antisemitismus anhand von Inhalten des Studiengangs gehobener Polizeivollzugsdienst an der HWR Berlin und stellte im Anschluss die interdisziplinäre Expertenrunde vor.
Dazu zählten neben Prof. Dr. Christoph Kopke auch die Polizeidirektoren Frank Michler, Leiter des Führungsstabes Polizeiinspektion Halle (Saale), undAndreas Suhr, Leiter im Stabsbereich Einsatz der Landespolizeidirektion Berlin, sowie Dr. Elio Adler, Vorstandsvorsitzender der WerteInitiative e.V. Nettelnstroth verknüpfte das Tagungsthema mit dem spezifischen Anschlag von Halle vom 9. Oktober 2019, bei dem ein Rechtsextremist am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, versuchte, schwer bewaffnet eine Synagoge zu stürmen.
Polizei schulen, Opfer stärken und Antisemitismus bekämpfen
Während des anderthalbstündigen Gesprächs gelangten die Podiumsgäste trotz unterschiedlicher Professionen zu denselben Erkenntnissen für die Bewältigung in der Zukunft. Stark verkürzt gehe es um die polizeiliche Vorbereitung auf Lagen wie dem Anschlag von Halle, die Stärkung der Opferperspektive und die Bekämpfung von Antisemitismus als Daueraufgabe für Polizei, Wissenschaft und Gesamtgesellschaft. Zum Abschluss dankte Schönrock allen Mitwirkenden und Teilnehmenden und würdigte die Arbeit des Live-Künstlers Mike Klar, der die Ergebnisse der Tagung wie üblich in einem anschaulichen Gesamtbild festhielt.
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Diese Neuigkeit erscheint im Rahmen des Themenjahres »Wir machen Berlin«.
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