Beteiligung: Marina Weisband diskutiert mit Studierenden
»Wir brauchen alle. Alle Stimmen, alle Schichten«, betonte Digitalexpertin Marina Weisband bei der Semestereröffnung am 13. April 2021. Sie diskutierte mit Studierenden der HWR Berlin.
Zu Beginn der Online-Veranstaltung des Studium Generale begrüßte Prof. Dr. Andreas Zaby, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), insbesondere die Studierenden im ersten Semester. Sie säßen zu Hause allein vor dem Bildschirm und müssten ihre Kontakte auf ein Minimum reduzieren.
Sicher hätten sie sich ihren Studienstart anders vorgestellt. Sie erwarte ein „voll verkacheltes aber vollwertiges“ Online-Semester, sagte Zaby augenzwinkernd. Er ermutigte die Studierenden, sich keinesfalls als „verlorene Generation“ abstempeln zu lassen.
Trotz widriger Umstände das Studium meistern
Im Gegenteil: Sie seien eine Generation, die ihr Studium trotz widriger Umstände meistere. Das verdiene Respekt. Die Covid-19-Pandemie böte Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden die Chance, als Menschen zu wachsen und dazuzulernen. „Die Digitalisierung ist zu einem essenziellen Konzept avanciert, das dazu beiträgt, Leben zu retten“, erklärte Zaby. Deutschland müsse mutiger und digitaler werden, um zukunftsfähig zu sein. Die HWR Berlin bleibe ein Ort digitalen Experimentierens, auch nach der Krise, so der Präsident.
Von dieser Generation hängt die Zukunft ab
Deutschland stecke im digitalen Mittelalter fest, diagnostizierte auch Marina Weisband in ihrer Keynote „Wir brauchen alle. Wie wir durch Selbstwirksamkeit und Diversität Verantwortung für die Zukunft übernehmen können“. „Von dieser Generation hängt eine ganze Menge ab, die ganze Zukunft nämlich“, mahnte die Expertin für digitale Beteiligung in demokratischen Gesellschaften. Das sei eine große Verantwortung, die den Zusammenhalt und die Beteiligung aller erfordere.
Ausgrenzung und Extremismus entgegenwirken
„Internet und Digitalisierung ermöglichen Vernetzung und Partizipation in Echtzeit“, so Weisband. Menschen könnten über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg zusammenarbeiten und ihre Stimme erheben. Weltweit. Insofern sei die Digitalisierung ein mächtiges Werkzeug.
Doch mit dieser Macht geht nach Ansicht der Diplom-Psychologin, Politikerin, Publizistin und Pädagogin eine große Verantwortung einher. Um Ausgrenzung, Diskriminierung, Hass, Rufmord und Extremismus im Netz entgegenzuwirken, forderte sie eine zweite Welle der Aufklärung.
In einer Welt mit komplexen Problemen müssen auch die Lösungen komplex sein.«
Solidarität: Die Welt gemeinsam gestalten
Als Kernprobleme unserer aktuellen Gesellschaft nannte sie die erlernte Hilflosigkeit und den gefühlten Kontrollverlust vieler Menschen:
- „Die da oben machen doch eh, was sie wollen.“
- „Ich kann nichts daran ändern.“
Überzeugungen wie diese begegnen Weisband quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Nach ihrer Ansicht ist Selbstwirksamkeit der Schlüssel: Menschen müssten früh lernen und erfahren, dass sie Herausforderungen und Probleme durch eigenes Handeln bewältigen können.
Dazu seien vor allem Solidarität und Diversität erforderlich. Bei Problemlösungen müssten die Blickwinkel und die Bedürfnisse aller Gesellschaftsschichten berücksichtigt werden. Nur gemeinsam mit anderen habe eine Person die Macht, grundlegende Veränderungen herbeizuführen.
Schulen als Orte der Selbstwirksamkeit
Aus passiven Konsumentinnen und Konsumenten müssten Gestaltende werden, so Weisband. Sie schlug vor, Schulen, Kommunen und Hochschulen zu Orten der demokratischen Bildung, Beteiligung und Selbstwirksamkeit umzugestalten. An diesen Orten kämen alle Schichten zusammen, könnten sich zufällig begegnen, voneinander lernen, Vorurteile abbauen und Demokratie gemeinsam gestalten. Ob dieser Ansatz in Schulen und kommunalen Verwaltungen auf Widerstand stoße, wollten die Studierenden wissen?
Lehrende als Impulsgebende
Der Widerstand beruhe meist auf einem veralteten Rollenverständnis, einem veralteten Verständnis von Autorität, erklärte Weisband. Im digitalen Zeitalter sieht sie die neue Aufgabe der Lehrenden darin, Impulsgebende zu sein, neue Gedanken in Prozesse einzubringen, Dinge, Erkenntnisse und Informationen einzuordnen und zu hinterfragen.
Fehler und Irrtümer müssten transparent gemacht machen, um Prozesse neu auszurichten. Ein Rollen- und Wertewandel, weg vom Individualismus hin zur sozialen Kollaboration sei erforderlich. Das derzeitige gesellschaftliche System habe sich als nicht zukunftsfähig erwiesen.
Eine demokratische Hochschule für alle
Auf die Frage, wie sich Hochschulen umgestalten lassen, hatte Weisband eine einfache und doch komplexe Antwort: „Gebt die Hochschule in die Hände der Studierenden und Mitarbeitenden. Tut euch zusammen, nehmt andere mit, sprecht sie an, ladet sie ein, sich einzusetzen.“ Bildung und Demokratie seien Beziehungsarbeit, in die alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden müssten, um Diskriminierung und Berührungsängste abzubauen, so ihr Fazit.