Digital Entrepreneurship gendergerecht gestalten
Viele Frauen können sich vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, setzen dies aber nicht um. Wie lässt sich das ändern? Hier setzt das Forschungsprojekt »EQUALdigitalent« an – mit wegweisenden Ideen.
Zwar ist seit einigen Jahren ist ein leichter Anstieg des Frauenanteils in Start-ups erkennbar, dennoch sind Frauen insgesamt nach wie vor stark unterrepräsentiert. Aktuell liegt der Anteil an Gründerinnen bei etwa 15 Prozent. Was sind die Ursachen hierfür? Und wie lässt sich diese Quote langfristig erhöhen?
Damit hat sich das Erasmus+ Projekt »EQUALdigitalent – Gender Equality in Digital Entrepreneurship« beschäftigt, das kürzlich als »Leitprojekt 2020« ausgezeichnet wurde. Es wurde von vier internationalen Projektpartner/innen aus Liechtenstein, Österreich und Deutschland durchgeführt: der Universität Liechtenstein (Projektleitung), der HWR Berlin Berlin, der Katholischen Sozialakademie Österreichs und der Wirtschaftsuniversität Wien.
Projektbeteiligte der HWR Berlin:
- Prof. Dr. Barbara Eisenbart, Gastprofessorin für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Innovation und Digital Entrepreneurship, Fachbereich Duales Studium als aktuelle Projektleitung
- Prof. Dr. Heike Wiesner, Professur für Betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme, Studiengang Wirtschaftsinformatik; Arbeitsschwerpunkte: Partizipative Software Gestaltung; Transformative Technologien & Diversity/Gender (Modulverantwortung), formative Evaluation u.a.
- Prof. Dr. Matthias Tomenendal, Professur für Management und Consulting, Direktor der Berlin Professional School; Modulverantwortung Digital Business Management & Leadership, Evaluation, u.a.
- Judith Schütze, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
- Dr. Johannes Kirch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter während der Laufzeit des Projekts, heute: Prof. Dr. Johannes Kirch, Professur für Personalmanagement & Unternehmensführung (bbw Hochschule Berlin)
Im folgenden Interview berichten die Projektbeteiligten über die Zielsetzung des Projektes, ihre Forschungsergebnisse und wie deren Umsetzung in die Lehre aussieht.
Unser Hauptziel war es, einen gendersensitiven, interdisziplinären Masterstudiengang »Gender Equality in Digital Entrepreneurship« zu entwickeln und in dem Rahmen (auch) neue transdisziplinäre Lehrformate zu entwickeln und zu testen. Ferner ging es darum, die Bedeutung von Frauen im Bereich Entrepreneurship zu verdeutlichen und nachhaltig zu stärken.
Unser wichtigster Beitrag lag darin, ein echtes Erprobungsfeld für das Testen der Inhalte der (interdisziplinären) Module im Bereich Gender, Digitalisierung und Entrepreneurship bereitzustellen, daher die enge Kooperation mit den beteiligten Instituten Harriet Taylor Mill-Institut und Berlin Professional School.
Aber auch die begleitende formative Evaluation war ein wichtiger Meilenstein, um die Qualität der Module insgesamt zu erhöhen. Hervorzuheben ist in diesem Kontext u.a. das Modulformat »Transformative Technologies«. Es beinhaltet mehrere Workshop-Formate im Bereich gestaltbare transformative Technologien, die direkt auf den Bereich Entrepreneurship zugeschnitten waren und sukzessiv den Aspekt Gender/Diversity integriert haben.
Neben der Sensibilisierung für das (internationale) Thema »Frauen und Entrepreneurship« hat die HWR Berlin im Rahmen des Projekts neue transdisziplinäre Lehr- und Lernformate entwickelt, in Teilen getestet und formativ evaluiert. Im Kern handelt es sich hierbei um:
- Die Entwicklung eines sogenannten »Master Curriculums«, welches das Studiengangsprofil, den Begründungskontext, Informationen zur anvisierten Zielgruppe, die komplette Programmstruktur, die formalen Aspekte sowie den detaillierten Überblick anhand der 12 Modulbeschreibungen enthält.
- Die Bereitstellung von »Guidelines gendersensitive Lehre«: Diese zeigen, wie mit gendersensitiver Didaktik der Unterricht geschlechtsneutral bzw. genderbewusst gestaltet werden kann. Aktuelle Erkenntnisse der Autorinnen und des Autors aus ihrer Forschung und Lehrpraxis an der Schnittstelle von Digitalisierung, Entrepreneurship und Gender werden bündig zusammengefasst und können somit interessierten Dozierenden als Orientierung dienen.
Bisher wird in den meisten Studiengängen ein geschlossenes Modul zum Thema Gender, abgetrennt von den anderen Inhalten, angeboten. In dem von uns entwickelten Studiengang wurde die Gender-Perspektive kontinuierlich in alle Module integriert, d.h. sie alle enthalten eine direkte Auseinandersetzung mit dem Thema Gender.
Diese erweiterte Perspektive ermöglichte somit einen inter- und transdisziplinären Zugang, der Digitalisierung als Aktivität akteursspezifisch analysiert und gestaltungsorientiert unter dem Aspekt Gender erweitert. Die Erprobung spezieller Blended Learning- und Präsenz-Angebote in diesem Kontext hat einen hohen Innovations- und Aktualitätsgrad und ermöglicht zukünftig hochschulübergreifende Kooperationen auch im Bereich der Lehre.
Die im Forschungsprojekt entwickelten Ergebnisse werden bereits in bestehende Studiengänge und Lehrformate an der HWR Berlin integriert und beispielsweise im Rahmen des Studiengangs Wirtschaftsinformatik in die Module aufgenommen, u.a. als aktuelle Fragestellung der Wirtschaftsinformatik, Projekt Software Engineering und Sozialwissenschaftliche Aspekte der Informations- und Wissensgesellschaft.
An der Berlin Professional School wird aktuell der Masterstudiengang Business Management - Digital Business Management entwickelt, der für Managementpositionen in Start-ups sowie internationalen Unternehmen und Organisationen qualifiziert. Dabei werden im Modul »Digital Entrepreneurship« auch Inhalte und Ergebnisse des Forschungsprojektes genutzt. Ab Herbst 2021 soll der Masterstudiengang an der Berlin Professional School starten. Zudem wird ein fakultätsübergreifendes Modul »Digital Business« für diverse Bachelorstudiengänge für Frühling 2022 entwickelt.
Da es sich um ein Pilotprojekt handelte, sind alle Ergebnisse so aufbereitet, dass sie für auch von anderen Hochschulen in Zukunft öffentlich nutzbar sind.
Der Anwendungsbezug war ein zentrales Kriterium: Neben Exkursionen haben die beteiligten Studierendengruppen Projekte im Bereich gestaltbare Technologien mit Start-ups und Kleinstunternehmen durchgeführt. In enger Kooperation mit dem MINT4-Projekt wurden dann auch die besten Ergebnisse im Rahmen des Events »Winf in Action« öffentlich präsentiert.
Auf der anderen Seite fand die aus dem Projektkontext gemeinsam erworbene transdisziplinäre Expertise u.a. Eingang in verschiedenen Beiräten (u.a. DiGiTal - Berliner Hochschulprogramm für Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen, Heinrich Böll Stiftung), Preisverleihungen (Gutachten für den Max Rubner-Preis und Jury Member, FHNW Swiss Innovation Challenge) und ermöglichte den Ausbau kontinuierlicher Kooperationen, z.B. mit dem Netzwerk zum Forschungstransfer des interdisziplinären Wissens zu Gender und Informatik (GEWINN) und dem Startup Incubator Berlin.
Neben dem länderübergreifenden Austausch unter Kolleginnen und Kollegen war sicherlich die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit ein sehr hoher Motivationsfaktor für das europäische Verbundprojekt. Das Pilotieren, Testen, Anpassen von Lernmodulen in unterschiedlichen Studiengangssettings und der kontinuierliche Austausch über die gemachten Erfahrungen ist für alle Beteiligten ein sehr hoher Motivationsmoment – somit macht auch die eigene Kompetenzentwicklung als Lehrkraft Spaß.
Unsere anfängliche Erwartung, dass bereits ein höherer Grad an Sensibilität insbesondere für das Thema »Frauen und Entrepreneurship« vorhanden war, hatte sich nicht erfüllt. Viele Teilnehmende waren sehr überrascht, dass die auffällig unterschiedlichen Prozentwerte bei weiblichen und männlichen Gründern von Start-ups sich auch im internationalen Kontext spiegeln und die Gründe dafür sehr vielfältig sind.
Was uns besonders freut: Nach anfänglicher Skepsis wurde über die verschiedenen getesteten Formate ein hoher Grad an Sensibilität für das Thema insgesamt erreicht. Gerade die sehr ernsthafte Auseinandersetzung von (jüngeren) männlichen und weiblichen Teilnehmenden mit dem Thema digitale Gründung und Gender unterstreicht die Bedeutung des Projekts.