Nach dem NSU. Ergebnisse und Konsequenzen für die Polizei
Wie konnte es den drei Hauptakteuren des NSU gelingen, über viele Jahre unerkannt im Untergrund zu leben? Ein von Christoph Kopke herausgegebener Sammelband sucht nach Antworten.
Wie konnte es den drei Hauptakteuren des Nationalsozialistischen Untergrunds gelingen, über viele Jahre unerkannt im Untergrund zu leben, dabei eine akribisch geplante Serie brutaler Morde und Überfälle vorzubereiten und auszuführen, ohne dass die Sicherheitsbehörden ihnen auf die Schliche kamen oder auch nur das Motiv und die Logik dieser Serie erkannt hätten. Diese Fragen haben nach der Selbstenttarnung des NSU nicht nur Vertreter von Polizei und Sicherheitsbehörden, sondern auch 14 parlamentarische Untersuchungsausschüsse und große Teile der Öffentlichkeit bewegt. Die sorgfältige und glaubhafte Aufarbeitung der im NSU-Komplex sichtbar gewordenen Defizite der konkreten Ermittlungsarbeit, aber auch der strukturellen Probleme in der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure, ist ein wichtiger Baustein, um verlorenes Vertrauen in die Arbeit der Polizei zurück zu gewinnen.
Vor diesem Hintergrund nimmt der von Christoph Kopke herausgegebene Sammelband eine wichtige Funktion ein. Die darin versammelten Beiträge greifen thematisch durchaus weiter aus, als es der Titel des Bandes vermuten lässt: Sie reichen von einer Betrachtung des sogenannten „Lone Wolf Terrorismus“ und dessen spezifischen Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden (Anna-Lena Braatz); von der „besonderen Rolle“ des Verfassungsschutzes, insbesondere des thüringischen Landesamtes, in der NSU-Geschichte (Sebastian Ohm); bis zu verschiedenen Konzepten neonazistischer Gewalt, die als Vorbilder für das NSU-Trio gedient haben könnten (Mareike Birmele) und den Reaktionen der rechten Szene auf den NSU (André Philipp Sindele). Den Kern des Buches bilden zwei Beiträge über die Konsequenzen aus dem NSU-Drama bei der Berliner (Ingo Reichelt) bzw. der Brandenburger Polizei (Christoph Kopke/Alexander Lorenz-Milord). Bis auf den zuletzt genannten handelt es sich bei den anderen Beiträgen um (zum Teil bearbeitete bzw. gekürzte) Abschlussarbeiten junger Kommissaranwärter*innen der Berliner Polizei, die an der HWR studiert haben.
Allein die Existenz dieses Sammelbandes ist ein positives Signal – zeigt er doch, dass die Diskussion um die Konsequenzen aus der NSU-Mordserie zumindest in Teilen der Polizei und der Polizeiausbildung an der HWR ernsthaft geführt wird.
Kopke, Christoph (Hg.) (2020): Nach dem NSU. Ergebnisse und Konsequenzen für die Polizei. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft (Polizei - Geschichte - Gesellschaft, Bd. 1). ISBN 978-3-86676-611-2, 197 Seiten für 24.90 €