Wenn der Studienstart zu Hause stattfindet
Fabio Bräuer, Student und Erstilotse an der HWR Berlin, erzählt, vor welchen Herausforderungen Erstsemester in Corona-Zeiten stehen – und wie trotz der Distanz eine Gruppendynamik entstehen kann.
Während des ersten Semesters tauchen zahlreiche Fragen auf: Wie organisiere ich mein Studium? Welche Seminare soll ich belegen? Worauf muss ich achten, wenn ich mich um einen Praktikumsplatz bewerbe? In diesem Sommersemester stehen Erstis vor neuen zusätzlichen Herausforderungen: Es gibt keine Präsenzveranstaltungen, alles findet online statt. Unterstützung finden sie bei den Erstilotsen, die als Mentorinnen und Mentoren Studienanfängern auch digital mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Die Tagesspiegel-Redakteurin Nina Dworschak hat darüber mit Fabio Bräuer gesprochen.
Das Interview erschien im Leute-Newsletter für Tempelhof Schöneberg:
Das erste Semester an einer Hochschule – für viele bedeutet das Planlosigkeit, Party und Prüfungsstress. Wie sieht es aber aus, wenn wegen Corona der Studienbeginn zu Hause stattfindet? […] Nina Dworschak hat darüber mit Fabio Bräuer gesprochen. Er studiert „Finanzierung, Rechnungswesen und Steuern“ an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin am Campus Schöneberg – und beantwortet den Studierenden die Fragen, die sie nur ungern dem Professor stellen.
Sie sind seit einiger Zeit „Erstilotse“. Was ist das?
Es ist eine Art Buddy oder Mentor, der mit seiner Erfahrung den neuen Studierenden helfen kann. Also jemand, der Hilfe zur Selbsthilfe leistet und niedrigschwellig den neuen Studis Hilfe anbietet, wenn der Professor oder die Studienverwaltung nicht weiterhelfen können.
Wie viele Studis betreuen die Erstilotsen zur Zeit?
Etwas mehr als 350 Leute. Eigentlich war unser Angebot nur für den Studiengang Business Administration vorgesehen, das sind etwa die Hälfte dieser Erstsemester. Durch Corona ist in diesem Semester alles anders, und wir haben uns kurzfristig dazu entschlossen, auch die Erstsemester anderer Studiengänge zu betreuen. Einfach, weil da eine ebenso hohe Zahl an Studierenden war, die Unterstützung von Studierendenseite gut gebrauchen konnten. Auch ausländische Studierende betreuen wir, die hängen teilweise noch in ihren Heimatländern fest.
Das hört sich stressig an
Tatsächlich, das ist es dieses Jahr auch. Einerseits muss ich selbst noch studieren, anderseits habe ich eine gewisse Verantwortung. Die diesjährigen Erstis haben einen anderen Studienstart, als man ihn selbst hatte. Deshalb versuchen wir, wenigstens jeden zu erreichen und bestmöglich mit Informationen zu versorgen. Normalerweise hätte das in Veranstaltungen an der Uni stattgefunden.
Seit mehreren Wochen läuft schon das „Corona-Semester“. Wie haben Sie mit Ihrem Angebot darauf reagiert?
Wir haben uns eine Agenda überlegt und setzen Tools ein, die besonders in diesem Semester wichtig sind. Wie die Professoren richten auch wir Moodle-Kurse ein. Auf diese Räume auf der Lernplattform haben nur wir und die Studierenden Zugriff. Die Resonanz ist bisher super. Obwohl wir etwas blauäugig geplant haben, hat die Durchführung gut geklappt. Probleme gab es natürlich auch, das ging schon bei den technischen Dingen los. In Zoom (eine Plattform für Videokommunikation) können beispielsweise nur bis zu 100 Leute teilnehmen und das normalerweise auch nur für 40 Minuten. Aber es hat geklappt.
Kann man sich persönlich an Sie richten?
Ja, natürlich. Da kommen meist Fragen wie „Soll ich diesen Kurs löschen?“ oder „Wie ist das nochmal mit Englisch?“. Im persönlichen Gespräch versuchen wir die Probleme 1:1 zu lösen. Der Bedarf dafür ist in diesem Semester auf alle Fälle größer. Generell wird unser Erstilotsen-Angebot in diesem Semester intensiver genutzt.
Wie ist die Situation bei den ausländischen Studierenden?
Viele haben es nicht geschafft, nach Berlin zu kommen, weil sie nicht einreisen konnten. Kürzlich haben wir ein Webinar gegeben, da war eine Studentin aus Argentinien zugeschaltet. Ein anderer Kommilitone saß in Bosnien. Da die Leute nicht an der Uni präsent sein können, versuchen sie erst recht, an solchen Info-Veranstaltungen wie unseren teilzunehmen.
Wie läuft es bisher?
Dieses Semester ist komplett anders. Nicht nur wir haben erkannt, das genetzwerkt werden muss, sondern auch die Professoren. Einzelkämpfer werden nicht zum Ziel kommen – trotz Distanz muss unter den Studierenden eine Gruppendynamik entstehen. Wir haben allerdings gemerkt, dass wir es mit einer Generation zu tun haben, die technisch sehr versiert ist. Die kommen mit der Online-Lehre prima zurecht. Schnell haben sich viele in Whats-App-Gruppen zusammengetan. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass die Studienanfänger schüchterner sind. Aber da hatte kaum einer Hemmungen, sich im Webinar auch mit Kamera zuzuschalten. Im Master bei uns sind die Studierenden teilweise schon etwas älter, da gibt es einige, die die Kamera ausschalten oder bei denen im Hintergrund die Kinder spielen.
Und was machen Sie zurzeit?
Die Mammut-Aufgabe der Einführung zu Beginn des Semesters ist bewältigt, jetzt gehen wir in den Modus der Betreuung über. Wir erinnern an wichtige Termine, kommunizieren Fristen, alles, worauf wir am Anfang noch nicht eingehen konnten, beispielsweise das Thema Prüfungen.
Wie läuft denn Ihr Semester?
Gerade hatte ich einen vierstündigen Termin in Steuern, echt knackig. Ich habe das Gefühl, ich bin so fleißig, aber auch so verloren wie nie zuvor. Es ist schwierig, den Überblick zu behalten. Unsere Professoren hatten wohl zu Beginn des Semesters Angst, wir könnten uns langweilen und haben uns deshalb mit vielen Materialien und Aufgaben, die als Prüfungsleistungen gewertet werden, versorgt. Meine erste ist bereits diese Woche. Das geht Schlag auf Schlag, denn das Semester ist ja durch die Corona-bedingte Verschiebung gute drei Wochen kürzer. Dazu kommt, dass die Synergien, die man sonst im Unterricht hat, online verloren gehen. Es ist alles sehr, sehr, sehr viel zeitaufwändiger. Wer gut pokern kann und Glück hat, der kommt gut durch das Semester. Wer sehr strukturiert und ordentlich arbeitet, für den wird es aufgrund der Fülle nicht so leicht.
Quelle: Tagesspiegel.de