Sicherheit bildet nur eine Seite der Medaille
Dritter Jahrestag des Terroranschlags auf den Berliner Breitscheidplatz: Im Dezember 2019 diskutierten Expertinnen und Experten an der HWR Berlin über den wirksamen Schutz von Großveranstaltungen.
Am 19. Dezember 2019 fand an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) das 3. Fachsymposium zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz statt. Die HWR Berlin und die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport führen die Veranstaltung gemeinsam durch. Akteurinnen und Akteure, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft, Polizei und Verwaltung trafen sich zum interdisziplinären Austausch am Campus Lichtenberg der HWR Berlin. Fokus in diesem Jahr war der Veranstaltungsschutz im Kontext abstrakter Bedrohungslagen − ein komplexes Thema, das eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln erfordert.
Sicherheit und Freiheit − zwei Seiten einer Medaille
Die Dekanin des Fachbereichs Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, Prof. Dr. Sabrina Schönrock, eröffnete das 3. Fachsymposium und begrüßte die Gastrednerinnen und -redner. In Gedenken an die Opfer des schrecklichen Terroranschlags vor vier Jahren ist es mittlerweile Tradition, regelmäßig in Berlin zusammenzukommen, um sich wissenschaftlich und fachpraktisch mit terroristischen Bedrohungen auseinanderzusetzen. Prof. Dr. Andreas Zaby, Präsident der HWR Berlin, bedankte sich in seiner Eröffnungsansprache bei den Gästen, die mit ihrer Präsenz die Erinnerung an die Tat wachhielten.
Er sprach über die zwei untrennbaren Seiten einer Medaille, „unsere Sicherheit und unsere Freiheit“, deren Zusammenwirken immer wieder neu austariert werden müsse. Mit Blick auf den jahrhundertelangen Kampf für die heutigen Freiheitsprivilegien hob Zaby die herausragende Bedeutung einer freien Wissenschaft, Forschung und Lehre hervor, die auf einer von Respekt und Verantwortung begründeten Streitkultur beruhen solle.
„Berlin wurde getroffen, aber unser Herz schlägt“
Mit diesen Worten begann der Berliner Senator für Inneres und Sport, Andreas Geisel, seine Ansprache. Berlin habe durch den Anschlag auch dazugelernt, gleichwohl dieser Lernprozess noch nicht abgeschlossen sei. Ein Element dieses Lernprozesses stelle das heutige Fachsymposium dar, so Geisel. „Wie können wir öffentliche Bereiche und Veranstaltungsflächen in Berlin nicht nur effektiv, sondern auch stadtbildverträglich schützen?“ Hier bilde der inner- und außereuropäische Erfahrungsaustausch unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure eine wichtige Grundlage, um möglichst auf die verschiedenartigen Szenarien vorbereitet zu sein. Ein hoher Standard an Sicherheit ließe sich unter anderem durch gesetzliche Regelungen im Rahmen eines Veranstaltungssicherheitsgesetzes herbeiführen. Die Veranstaltungen dürften dabei jedoch nicht durch Sicherheitsmaßnahmen erstickt werden, betonte Geisel.
Prof. Dr. Birgitta Sticher, Professorin für Psychologie am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, sprach über „Gefühle außer Kontrolle? Menschliches Verhalten bei Bedrohung der Sicherheit von Großveranstaltungen.“ Die Expertin für Führungslehre erörterte anhand empirischer Untersuchungen, wie Menschen im Rahmen von Großveranstaltungen auf bedrohliche Ereignisse reagieren und welche Rückschlüsse Sicherheitskräfte daraus für ihr eigenes Handeln ziehen können. Sie zeigte auf, inwieweit die Psychologie wichtige Bausteine für die Herstellung von Sicherheit von Großveranstaltungen liefert, speziell bei Eintritt von extremen Bedrohungslagen.
2017: Attentat auf ein Musikfestival in Las Vegas
Wie extrem derartige Lagen verlaufen können, schilderte der internationale Gastreferent, Lieutenant Branden Clarkson, vom Las Vegas Police Department sehr einprägsam in dem Vortrag „The 2017 Las Vegas Shooting“. Beim Attentat auf ein Musikfestival am 01. Oktober 2017 starben 58 Menschen, über 500 Besucherinnen und Besucher wurden angeschossen und mehr als 800 verletzt. Es handelt sich um die höchste Opferzahl eines Einzeltäters in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Clarkson verdeutlichte seine Ausführungen anhand originaler Video- und Tonaufnahmen. Die Mitschnitte, aufgenommen von Einsatzkräften oder Festival-Gästen, sowie seine detaillierten Darstellungen lösten große Bestürzung und Betroffenheit bei den Zuhörenden aus.
„Und der Gesetzgeber?“ – Dieser Frage widmete sich der Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit und Ordnung der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Klaus Zuch, in Vertretung für den Staatssekretär für Inneres Torsten Akmann. Er skizziert aktuelle „Eckpunkte einer gesetzlichen Regelung der Sicherheit von Großveranstaltungen“. Die abstrakte Bedrohungslage führe zu Herausforderungen, die in das Bewusstsein des Gesetzgebers gerückt seien. Die aktuell vorhandenen gesetzlichen Regelungen in Berlin seien bisher vor allem darauf ausgerichtet, den Schutz von öffentlichen Straßen und Wegen sowie Grünflächen, nicht jedoch die Sicherheit einer Veranstaltung zu gewährleisten. Um den damit einhergehenden Auslegungs- und Auffassungsproblemen in der herrschenden Rechtsprechung entgegenzuwirken, bedürfe es konkreter gesetzlicher Regelungen im Rahmen einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage zur Gewährung eines sicheren Ablaufs von Großveranstaltungen.
Psychische Erkrankungen von Einsatzkräften verhindern
Im Anschluss an die drei Vorträge lud Prof. Dr. Wim Nettelnstroth, Studiendekan am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, die Teilnehmenden zu einer aktiven Pause ein. Nettelnstroth, der auch das Konzept zum methodischen Ablauf des Symposiums entwickelt hat, geleitete die neugierigen Gäste in die Mensa der HWR Berlin. Hier moderierte er eine Poster-Session mit acht wissenschaftlichen Beiträgen zu verschiedenen sicherheitsrelevanten Fragestellungen der Forschung. Ein thematischer Schwerpunkt lag dabei auf der Prävention psychischer Erkrankungen von belasteten Einsatzkräften.
Nach der Pause ging es für die Teilnehmenden aktivierend weiter. Sie hatten die Möglichkeit, das Tagungsthema an elf verschiedenen Thementischen im Rahmen eines World-Cafés zu vertiefen. Die Sicherheit von Großveranstaltungen wurde dabei von sehr unterschiedlichen Disziplinen betrachtet – die Themenbandbreite reichte von polizeilicher Drohnenabwehr oder der Rolle von Ersthelfenden bei Schadenslagen bis zur kriminalistischen Tatortarbeit nach Schadenseintritt. Die insgesamt 150 Vertreterinnen und Vertreter von Sicherheitsbehörden, aus Politik, Wissenschaft, ganz Deutschland und dem Ausland konnten sich während des World-Cafés mit ihren jeweiligen Hintergründen in die verschiedenen Fachdisziplinen einbringen und international sowie disziplinär über Strategien und Schritte zum Schutz vor terroristischen Gefahren bei Großveranstaltungen diskutieren.
Perspektivwechsel: Wissenschaft und Praxis zusammendenken
Schönrock lobte die daraus resultierenden vielfältigen Ansätze in ihrem abschließenden Ausblick. Frei nach Antoine de Saint-Exupéry „Um klar zu sehen, genügt oft nur ein Wechsel der Blickrichtung“ lebt das mittlerweile 3. Fachsymposium von den verschiedenen Perspektiven der Wissenschaft und Praxis. Deren Zusammenwirken führt zu wertvollen Vernetzungen und Denkanstößen, betonte die Dekanin vor weihnachtlicher Kulisse. Zum krönenden Abschluss konnten die Teilnehmenden die Tagung durch die kreativen Augen des Live-Künstlers Mike Klar betrachten, der das scheinbar Unmögliche möglich machte und das geballte Wissen der Tagung in einem anschaulichen Gesamtbild verewigte.