»Freiheit ist kein selbstverständliches Gut«
Wissen, was hier geschah: Prof. Marcel Kuhlmey und Prof. Dr. Christoph Kopke sprechen im Interview über laufende Forschungen, die sich mit der Historie der Gebäude am Campus Lichtenberg beschäftigen.
Welchen historischen Hintergrund haben die Gebäude am Campus Lichtenberg?
Prof. Marcel Kuhlmey: Der Gebäudekomplex an der Straße der Befreiung 60 (heute: Alt-Friedrichsfelde 60) führte die Diensteinheiten des MfS der Bezirksverwaltung Berlin und der Kreisdienststellen Friedrichshain, Lichtenberg, Marzahn und Hohenschönhausen an einen Standort zusammen. Die Nummerierungen der einzelnen Gebäude wurden auch für die heutige Nutzung übernommen. Die Häuser 1 bis 3 sowie 5 waren wie heute Verwaltungsgebäude. Die Häuser 4 und 14 wurden als Unterkunftswachen genutzt.
Für die Versorgung der Mitarbeitenden sowie die Wartung der Gerätschaften standen ausreichend Lagerflächen zur Verfügung. Eine Besonderheit ist das nicht mehr existierende Haus 6, welches als Nachrichtengebäude genutzt wurde. Von hier aus erfolgten die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, insbesondere das Abhören von Telefongesprächen. Dieser Bauteil wurde nach der Wiedervereinigung abgerissen. Auf dieser Fläche befinden sich die heutigen Lehrsaalgebäude 6 A und 6 B.
Immer noch sehr gut erhalten ist der Schutzbau auch als Bunkeranlage bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein Kellergeschoss, welcher sich unter dem Parkplatz entlang der Fahrzeughallen befindet. Zu dem Schutzbauwerk gehören Unterkunftsräume, ein Schießstand sowie ein strahlengeschützter Tiefbrunnen, der die Notwasserversorgung sicherstellen sollte. Der Zugang erfolgte konspirativ über die Fahrzeughallen gegenüber dem Haus 1.
Warum ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte wichtig für die Hochschule?
Prof. Marcel Kuhlmey: Freiheit ist ein wichtiges und nicht selbstverständliches Gut. Nur in einem demokratischen Staat ist auch die Meinungsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit gewährleistet. Da wir insbesondere am Campus Lichtenberg viele Studierende auf die Laufbahnen im öffentlichen Dienst vorbereiten, sollten sie um ihre Verantwortung wissen. Staatliches Handeln darf sich nur an Recht und Gesetz orientieren und gerade die Gewaltenteilung – die es in der DDR nicht gab – ist ein hohes Gut, das verteidigt werden muss.
An diesem historischen Ort wurde die staatliche Macht unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Demokratie missbraucht. Vom diesem Ort aus wurden Menschen im Auftrag des Staates bespitzelt, verfolgt und denunziert. Die Studierenden sollten die Wurzeln dieses historischen Ortes kennen und wissen, wie Staatsdiener gelenkt und für die Durchsetzung politischen Ziele und der Wahrung der Stellung der SED missbraucht wurden.
Gibt es weitere Themen der Geschichtsaufarbeitung zu denen gearbeitet wird?
Prof. Dr. Christoph Kopke: In der unmittelbaren Nähe des Campus Lichtenberg befand sich seit 1940 das sogenannte Arbeitserziehungslager (AEL) Wuhlheide. Dort wurden bis Kriegsende zahlreiche Zwangsarbeiter, denen an ihren Arbeitsstätten irgendwelche Vergehen vorgeworfen worden waren, unter KZ-ähnlichen Bedingungen inhaftiert und „diszipliniert“. Die Haft- und Lebensbedingungen waren hart. Gleichzeitig diente das Lager der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der das Lager unterstand, als Haftstätte für politische Gefangene. Vom AEL Wuhlheide aus wurden zudem zahlreiche Menschen in die Konzentrationslager überstellt.
Zusammen mit dem Historiker Thomas Irmer wird in einem laufenden Forschungsprojekt die Geschichte des AEL Wuhlheide aufgearbeitet. Wir bereiten dazu eine Monografie vor. Die Forschungen stellen zugleich einen Beitrag zur Aufarbeitung der Rolle der Polizei während der NS-Diktatur dar. Das Thema wird auch in Lehrveranstaltungen im BA-Studiengang Gehobener Polizeivollzugsdienst aufgegriffen.